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AutorenbildAstrid Ziegler

Über Heimat, das schwere Wort


Über Temeswar, einem Fixstern in meinem Mikrokosmos

Der Begriff Heimat ist sehr vielschichtig, man muss nur mal auf Wikipedia schauen, wie viel Text über diese simplen 6 Buchstaben H E I M A T geschrieben wird.

Heimat bezieht sich auf einen bestimmten Raum, hat eine zeitliche Komponente, denn es liegt in der Natur der Sache, dass ein Gebiet sich im Lauf der Jahre oder Jahrzehnte verändert. So wird oft angeführt, dass das Banat heute anders sei als damals, als wir und unsere Vorfahren dort gelebt haben. Das trifft natürlich zu, doch auch alteingesessene Münchener beklagen die Veränderung ihres einstigen Millionendorfes. Wenn genug Zeit vergeht, verändert sich jede Region, vor allem die Gegenden in denen es regen Zuzug gibt. Nicht einmal das Hochhausviertel Neuperlach, in dem ich zur Schule gegangen bin, ist noch so, wie es vor über 30 Jahren war. Mein damaliges soziales Umfeld ist fast komplett weggezogen, die Wohnungen wurden von anderen Leuten bezogen, nicht anders, als es in den Banater Dörfern geschehen ist. Egal ob ich nach Neupaulisch oder nach Neuperlach fahre, ich stelle fest, dass zum Heimatgefühl vertraute Menschen gehören. Umgekehrt entsteht Heimat wo unsere Lieben sind. Wo z.B. meine Kinder leben, werde auch ich mich heimisch fühlen. Die Tatsache, dass ich Temeswar auch heute noch als Heimatstadt empfinde, liegt nicht zuletzt daran, dass die Verbindung zu manchen dortigen Freunden und Nachbarn nie abgerissen ist.

Zur Heimat gehört auch eine kulturelle Prägung, die zuerst vom Elternhaus, dann von der Schule und nicht zuletzt von der Gesellschaft vermittelt wird, in der man lebt. Deshalb ist es für Auswanderer bzw. Einwanderer so wichtig, Werte und Lebensweise der neuen Welt, in der man gelandet ist, Stück für Stück zu übernehmen. Nur dann kommt man irgendwann wirklich an und aus einem neuen zu Hause wird langsam Heimat. Integration ist ein schrittweiser Prozess. In dem Roman Die Chamäleondamen spricht Yvonne Hergane von Nichtmehrheimat und Nochlangenichtheimat. Als Wortspiel könnte ich auch den Begriff Dochnochheimat hinzufügen für die Empfindung, die ich hatte, als ich erstmals nach vielen Jahren ins Banat zurückgekehrt bin.

Das Gefühl, die emotionale Komponente die Heimat ausmacht, erfahren wir nämlich oft schmerzlich durch Heimweh. Als Kind fühlte ich mich anfangs in München nicht wohl, weil ich meinen früheren glücklichen Mikrokosmos mit den Fixsternen Temeswar, Billed und Paulisch sehr vermisst habe. Erst als ich eine Freundin aus Siebenbürgen fand, wich die Traurigkeit einer gemeinsamen Entdeckerlust auf die neue Welt, in die wir von unseren Eltern gebracht worden waren.


Ich betrachte es heute als großes Glück, die für mich wichtigen Orte im Banat, die mir als Kind jenseits des Eisernen Vorhangs unerreichbar schienen, wann immer zu besuchen zu können.

Vor allem der Erwerb des Paulischer Hauses meiner Vorfahren hat sehr stark dazu beigetragen, das jahrelang verdrängte Trauma der Entwurzelung zu bewältigen. Die Renovierung des alten Baudenkmals war mühsam, hatte aber fast therapeutische Funktion. Schwierigkeiten und zeitweilige Misserfolge während dieser Zeit haben dazu beigetragen, das Leben in Rumänien weder zu verurteilen noch zu idealisieren. Das Heimweh von früher ist im Laufe der Jahre einem Gefühl des Realitätssinns aber auch der Geborgenheit an verschiedenen Orten gewichen.

Der Gegensatz alte/neue Heimat ist deshalb in meinem Fall auch etwas komplizierter. Denn das Banat, wo ich seit 20 Jahren viel Zeit verbringe, ist inzwischen eine neue alte Heimat geworden. Neuer und spannender denn je. Dagegen sieht die Münchener Heimat nach über 40 Jahren, die ich nun hier lebe, eher alt aus.

An dem Ort, den ich nach so langer Zeit und tausenden von Führungen als meine Stadt betrachte, hatte ich einmal ein befremdliches Erlebnis. Unterwegs als Kulturvermittlerin der Stadt München mit einer Gruppe von Touristen auf der Maximilianstraße erklärte ich hochdeutsch die Sehenswürdigkeiten. Eine ältere Frau hatte sich dazu gestellt, eine Weile zugehört und rief mir plötzlich auf bayerisch zu: Sie san ja gar koa Münchnerin, sie kenna ja koa boarisch!

Es gibt also auch in der Weltstadt mit Herz Leute, die einem Heimat im wahrsten Sinne des Wortes absprechen wollen.

Damit wären wir bei der Sprache angelangt. Als Temeswarerin lernte ich kein schwowisch, doch wenn ich unseren Dialekt höre, egal ob hier in München in der Tanzgruppe der Landsmannschaft oder im Banat selbst, wird mir warm ums Herz. Natürlich ist mir auch der hiesige Dialekt inzwischen sehr vertraut und wenn ich meine Schwiegertochter und ihre Familie bayerisch sprechen höre, fühle ich mich sehr wohl in ihrer Gesellschaft. Wie einen ganz feinen Hauch hört man den süddeutschem Einschlag auch in meiner eigenen Aussprache.

Man sollte Menschen Heimat nicht verweigern, genauso wenig sollte man sie verordnen. Das tat man den Menschen aus dem Banat an, die 1951 ins Niemandsland Baragan deportiert wurden. Obwohl sie sich dort neue Dörfer aufzubauen mußten, wollten sie nichts sehnlicher, als nach Hause zurück. Mein Urgroßvater, der Billeder Heimatforscher gewesen war, sollte seinen Heimatort nie wiedersehen.


Unverwechselbar und sehr persönlich sind die Phänomene, die unser Heimatgefühl geprägt haben und immer weiter prägen. Wie in einem imaginären Kaleidoskop der Heimatperlen entdecke ich bei jeder behutsamen Drehung neue Facetten. Diese betreffen all unsere Sinne und können sein: Orte an denen man glücklich war, Landschaften (für mich Weinberge), die Sprache, Musik, Düfte (Lindenblüten in München, Rosen in Temeswar), Speisen (gefülltes Kraut und bayerische Dampfnudeln), oder Getränke (selbstgemachter Holundersirup).

Eine rumänische sowie eine serbische Freundin von mir haben einmal unabhängig voneinander das flirrende spezifische Licht des Banats damit in Verbindung gebracht, sich zu Hause zu fühlen.

Ubi bene, ibi Patria sagt Cicero in einer seiner Reden. In einer Welt, in der heute Menschen im zweistelligen Millionenbereich ihre Herkunftsorte als Flüchtlinge oder Migranten verlassen, wird die Diskussion darüber, was Heimat ausmacht, immer wieder geführt werden müssen. Das ist spannend, denn der Begriff verändert sich laufend. Nicht starr ist Heimat, sondern eher wie ein wandelbares Chamäleon, um ein Bild aus einem Gedicht von Katharina Eismann aufzugreifen. sie ist ein Chamäleon nur im Plural erhältlich nie abgereist ein Bündel Schlüssel im Tresor

Wir gehören zur letzten Generation, die das Banat noch als Kind bewusst erlebt hat. Eine Debatte über unsere Identität wäre wichtig und aufschlussreich, sie könnte sowohl Erleichterung bringen als auch Kräfte freisetzen.

Meinen vier Kindern, die in München geboren und aufgewachsen, also echte Münchner Kindl sind, wünsche ich, dass sie frei und unbelastet ihren Platz im Leben und in der Welt finden mögen. Inwieweit auch meine Herkunft sie geprägt hat, werden Sie selbst mal beurteilen können.

Möge ihnen das Wort Heimat leicht sein.


 

Zwei Gedichte zum Thema Heimat von Edith Achim (geborene Zippel)


Heimat


Heimat liegt in allen Dingen,

die man spüren, fühlen kann,

die uns immer dazu bringen,

dass wir gerne denken dran.


Heimat ist auch das Erinnern

an Geborgenheit, an Glück.

Weil wir das ganz stark verinnern,

denken wir so gern zurück.


Jeder Duft und jede Blüte

füllt die ganze Seele aus,

und die Mahnung zu mehr Güte.

Heimat ist auch Elternhaus.


Heimat ist, was wir erlebten,

was als Mensch uns hat geprägt,

was wir dort alles bewegten.

Heimatliebe nie vergeht.


EDITH ACHIM

(19.09.2023)



Das Zuhause


Maulbeerbäume und Akazien

standen stolz um unser Haus.

Spielplatz waren auch die Gassen

und wir liefen froh hinaus.


Auch den Garten zu erobern,

war ein Ziel; die Zwetschgen süß

und die Tenne mit den Schobern

uns Verstecken spielen ließ.


So war das, als wir noch klein war´n..

Unsre Kinder taten´s auch.

Es war schön, wo wir daheim war´n,

kannten jeden Busch und Strauch.


Und im Winter fuhr man Schlitten,

rutschte fröhlich auf dem Eis,

auch wenn wir an Schrammen litten.

Und die Landschaft war ganz weiß.


Das war einmal das Zuhause,

Hort der Seele, Elternhaus.

Vom behüteten Zuhause

zog man in die Welt hinaus.


Heute bleibt nur das Gedenken.

Doch wir schöpfen daraus Kraft.

Was die Heimat konnte schenken,

hat uns herzlicher gemacht.


EDITH ACHIM

(19.09.2023)

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