Es war einmal in Temeswar
Vor langer Zeit, in einer anderen Welt, fast möchte ich sagen in einem anderen Leben, war ich Zirkusdirektorin. Gäbe es die Fotos nicht als Beweis, würde ich nicht glauben, dass das real war. Auf einem davon stehe ich im weißen Minikleidchen (es sind die 70er Jahre) und Kniestrümpfen (wir nannten sie damals Dreiviertelsocken), mit einem silbernen Zylinderhut auf dem Kopf. Neben mir steht partnerschaftlich farblich passend der Direktor im schwarzen Anzug und weißen Hemd, auch er mit Hut. Wir blicken ernst der Würde des Amtes entsprechend. Heute würde man sagen eine moderne Doppelspitze, denn dass ich als Mädchen auch Zugang zu diesem hohen Amt hatte, war selbstverständlich gewesen.
Als ich von Tante Ria, unserer Erzieherin im Elisabethstädter deutschen Kindergarten dazu nominiert worden war, bin ich eher skeptisch als begeistert gewesen. Die Hauptrolle beinhaltete nicht nur die Moderation der ganzen Zirkusvorstellung. Wir, mein Direktor-Partner und ich, hatten auch den meisten Text, der entsprechend gravitätisch vorgetragen werden musste. Viel lieber wäre ich Zauberin geworden! Hätte geheimnisvoll lächelnd mit “abra kadabra simsalabim” den Magierstab geschwungen und schon wäre der Auftritt gelungen! Magie und Leichtigkeit wären meine Sache gewesen, statt dessen Repräsentation, Würde, Präzision… Schon im Vorfeld des Festes mussten Vorbereitungen getroffen werden. Fürs Kleidchen wurde ich zur Schneiderin gebracht. Die Dreiviertelsocken waren von meiner Mutti aus feinem Baumwollgarn selbst gehäkelt. Von einer adrett gekleideten Verwandten, die älter war als ich, bekam ich die weissen Schnallenschuhe, die sie schon ausgewachsen hatte. Am schwierigsten war es damals das Symbol des bourgeoisen Klassenfeindes, den Zylinder, zu beschaffen. Da es diesen nirgends zu kaufen gab, fertigte ihn mein Vati abends nach der Arbeit selbst. Dabei waren ihm seine im Studium erworbenen Kenntnisse im Technischen Zeichnen sicher von Nutzen. In präziser Feinarbeit bastelte er den mit Alufolie beklebten Glitzerhut.
Die Zirkusvorstellung war der Höhepunkt des Kindergartenjahres und fand im Festsaal des Lenau Lyzeums statt, der bis zum letzten Platz besetzt war. Die Inszenierung mit aufwendigem Bühnenbild wurde unter der aufmerksamen Ägide von Tante Ria ein voller Erfolg! Links hinten ist sie auf dem Foto des feierlichen Einzugs im dunklen Kleid mit Perlenkette und Hochsteckfrisur zu sehen. Auch Eltern und Großeltern im Publikum sind festlich gekleidet. Sie sehen stolz zu, wie kleine Zirkus-Prinzen und -Prinzessinnen einziehen, für deren Ausstattung das Beste gerade gut genug war. Von denen man auch die Schatten der Zeit, so gut es ging, fern halten wollte.
Und doch war die Prägung durch die Welt draußen da, für uns Kindergartenkinder noch schemenhaft im Hintergrund. Der sogenannte real existierende Sozialismus drückte auch uns Kleinen seinen Stempel auf.
Ich erinnere mich zum Beispiel an einen Gedichtwettbewerb, für den ich eine rumänische Lobeshymne auf das Vaterland auswendig lernen musste. Fünf Strophen mit unverständlichem Vokabular waren für ein so kleines Kind eine große Gedächtnisleistung. Auch das eine der Rollen, die ich spielen sollte.
Vor einer Jury mussten wir Kinder aus verschiedenen Temeswarer Kindergärten Verse vortragen. Ich strengte mich echt an mit meinem patriotischen Gedicht, doch meine Mühe war vergeblich. Es gewann ein hübscher molliger Junge mit dunklen Locken, der ein kurzes Sprüchlein über einen Hund vortrug. Die Juroren hatten ihr Urteil unabhängig getroffen, wahrscheinlich sogar aus verstecktem Protest den herrschenden Verhältnissen gegenüber. Lasst doch die Kindergartenkinder wenigstens in Ruhe mit eurer Ideologie, dachten sie wahrscheinlich.
Pech nur für die kleine Kommunistin, zu der ich gemacht worden war, die mit ihrer Lobeshymne so gerne gewonnen hätte.
Auch da dachte ich, schade dass ich keine Magierin bin: "Abra kadabra, simsalabim"- ich hätte mich gerne weggezaubert!
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