Es war so schön morgens in München im Perlacher Forst, dass wir richtig lange gelaufen sind, der Hund und ich. Mein schwarzer Gefährte, rannte und sprang ausgelassen herum als sei er noch ein Welpe und hätte nicht ein hartes Dasein hinter sich. Spic wäre auch fast eines der weggeworfene Tiere geworden, im Grunde war er sogar eines.
Er war in dem Frühling, in dem Vicky geboren worden war, von Nachbarn in Paulisch als Hofhund angeschafft worden. “Woher kommt dieser ungewöhnliche Name?” fragte ich, als ich förmlich über den neuen Welpen stolperte, der zunächst im Hof jeden Gast freudig wedelnd begrüßte und anscheinend wenig Potential hatte, ein scharfer Wächter zu werden.
“Von spic de grâu, (Weizenähre) in Anspielung auf sein weizenblondes Brustfell und die hellen Pfoten”, bekam ich zur Antwort. Es hatte bei den Nachbarn schon zu viele Bobbys, Azorels und Rexis gegeben, in Rumänien weit verbreitete Namen für den besten Freund des Menschen, diesmal sollte es etwas Besonderes sein.
Doch der poetische Name sollte ihm nichts nützen. Wie leider so viele seiner Artgenossen wurde Spic nach einigen Monaten, um ihn agressiver zu machen, an die Kette gelegt, und zwar neben dem Plumsklo an eine ganz kurze. Aus Verzweiflung nagte er im Lauf der Zeit in das Klohäuschen ein so großes Loch, dass der Wind hinein pfiff. Das machte im Winter den sowieso schon beschwerlichen Toilettengang noch unkomfortabler.
Daraufhin sollte der Hund weg. Ich bekam bei meinem nächsten Besuch seine Zukunftsaussichten drastisch dargestellt: "Sau îl omor, sau îl duc pe câmp şi îi dau drumul, sau îl duceți dumneavoastră.” (Entweder bringe ich ihn um, oder ich setz ihn auf freiem Feld aus, oder sie nehmen ihn mit).
Dieser Nachbar war kein Mensch, der im Stande war, seinen Hund umzubringen. Doch Tiere einfach ins Auto zu laden und so weit wegzubringen, dass sie es nicht mehr zurück finden, ist üblich und gilt dort auf dem Land leider nicht als Grausamkeit. Der Hund hat die Chance sich durchzuschlagen, bekommt man gesagt. Es gibt sogar vereinzelt Geschichten, dass Tiere aus dieser viele Kilometer entfernten “Verbannung” abgemagert und mit verfilztem Fell wieder heim gefunden hatten.
Ich mochte den netten Spic, der mir und dem Baby, so lange er im Hof noch frei war, jedes Mal freundlich entgegen gelaufen war. Das Schicksal des Straßenhundes, derer es leider so viele gab, und die meist doch keine Chance hatten, wollte ich ihm ersparen. Andererseits hatten wir schon zwei Quadrupeden, die von der Straße in den eigenen Garten geholt, ihren Job als Wachhund gewissenhaft bellend erledigten.
Wir gingen also zu der Stelle wo Spic festgebunden war. Als mein Blick das gequälte Wesen an der kurzen schweren Eisenkette streifte, waren meine Bedenken sofort ausgeräumt. Ich war entschlossen ihn mitzunehmen. Der Hund freute sich in seiner verzweifelten Lage unbändig mich zu sehen. Hunde leben ja im Gegensatz zu Menschen ausschließlich in der Gegenwart. Kaum war ich da, riss er an seiner Fessel und wollte zu mir. Vom vielen Bellen war er schon ganz heiser und das Halsband hatte sein Fell abgewetzt. Den Augenblick als ich ihn losband werde ich nie vergessen. Pures Glück! “Du bist Alpha-Tier ich Beschütz-Dich-Tier, ich folge dir”, drückte er durch seine Art der Kommunikation aus. Er wollte da nur weg und ich führte ihn an der Leine in meinen Hof.
Spic wurde nie wieder angebunden und bewachte 10 Jahre lang zuverlässig unser Anwesen. Aufgeregt bellend rannte er im Hof zwischen den beiden Toren hin und her als würde er sagen: “Ich bin hier Hund, ich sag Bescheid, du darfst nicht rein!” Wie ernst er seinen Auftrag nahm zeigt ein Vorfall, als er Eindringlinge in die Flucht jagte. Diese waren über den Zaun geklettert uns beabsichtigen den Eisendeckel des Wasserschachts zu stehlen und beim “fier vechi”, der Sammelstelle für Alteisen, zu verhökern. Wir hatten in dieser Nacht Gebell gehört, fanden am Morgen erstaunt den halb aus der Verankerung gerissenen Deckel.
Letzten Sommer nahm Spics Wachhunddasein ein unerwartetes Ende. Ausgerechnet mit seinem vierbeinigen Kollegen, mit den er sich jahrelang gut vertragen hatte, gab es eine Beißerei, die ihn fast das Leben kostete. Ich war zum Glück an dem schicksalhaften Tag von München nach Paulisch unterwegs, wo ich ihn abends mit Kehlbiss schwer verletzt vorfand. Nach der anstrengenden Fahrt brachten wir den schlimm Zugerichteten, dem das Blut seinen weizenblonden Brustpelz rot gefärbt hatte, sofort nach Arad in die Tierklinik. Dort retteten ihm zwei fachkundige Ärztinnen in letzter Minute durch eine OP das Leben. Auch nach dem Eingriff war er noch nicht endgültig über den Berg. Wir bangten eine Zeit lang ob er ganz genesen würde. Und als er es dann geschafft hatte war klar, dass er nicht mehr dort bleiben sollte. So viel geteiltes Leid schweißt zusammen. Wir würden unserem erneut geretteten “Spic de grâu” nicht mehr sein Nutztierdasein zumuten, sondern ihn nach München mitnehmen. Da er schon im Hunde-Rentenalter war, sollte er künftig sein Leben genießen.
Erstaunlich wie schnell er umgelernt hat: Er lebt mit sauberem, glänzendem Fell im Haus, schläft vor meinem Zimmer, ist leinenführig und freundlich zu allen Besuchern. Aber in die zu seiner Behaglichkeit ausgebreiteten Decken nagt er kleine Löcher. Er hatte es auch früher geliebt, alles Mögliche zu zerbeißen. Als wollte er uns das rumänische Sprichwort beweisen, das lautet: ”Lupul își schimbă părul, dar năravul ba.” (Der Wolf wechselt seinen Pelz, aber nicht seine Natur.)
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