Während der vielen Aufenthalte, die wir im Laufe der Jahre in Paulisch verbracht haben, lernten wir zahlreiche Probleme und Prioritäten der Bewohner des Dorfes nördlich der Marosch kennen, mit denen ein Stadtmensch kaum mehr konfrontiert ist. Ja, mehr noch, ganz bestimmte Sorgen und Nöte werden auch zu unseren eigenen. Ein zentrales Thema zum Beispiel, das nicht nur für das Wohlergehen im Winter in Paulisch entscheidend ist, sondern unseren Aufenthalt bei niedrigen Temperaturen erst ermöglicht, ist die Frage, ob genug Brennholz vorhanden ist.
Die erste Sorge, wenn man nämlich in der kalten Jahreszeit nach stundenlanger Fahrt endlich das Haus betritt, noch vor dem Auspacken, ist, sich um die Feuer zu kümmern.
Der Boden und die dicken Wände des Hauses empfangen uns jedes Mal mit dumpfer Kälte, die sich hartnäckig hält, einen auf Schritt und Tritt und bis unter die Bettdecke verfolgt. Es ist zunächst unangenehm, es nach der Ankunft mit diesen Schwierigkeiten aufzunehmen. Damit die Raumtemperatur erträglich wird, muss man beständig nachschüren, doch hat man es schließlich geschafft, belohnt einen ein wohlig-warmes Gefühl von Geborgenheit. In unseren zentralgeheizten Wohnungen in den Städten wissen wir nämlich kaum noch, wie es sich anfühlt, Kälte zu empfinden. Die Abende nach der Anreise, an denen ich mich mit Vicky nach gut bewältigtem Auspacken und Anheizen unter eine dicke Schicht von Decken kauere, wurden zu prägende Erlebnisse unserer Paulisch-Aufenthalte. Während Hände und Füße allmählich warm werden, beobachten wir das Spiel der Flammen durch die Glastür des Kachelofens und den Widerschein davon auf der Zimmerwand.
“Wir haben es geschafft, schlaf gut, morgen machen wir hier lauter schöne Sachen", pflegte ich meiner tapferen Tochter zuzuflüstern. Das Letzte, was wir hören, während wir allmählich in die Traumwelt hinübergleiten, ist das prasselnde Feuer, wie ein Schlummerlied aus alten Zeiten.
Wie schon meine Urgroßeltern, kümmern wir uns jährlich im Sommer darum, Holzstämme für den Winter zu kaufen, sie zersägen, spalten und einlagern zu lassen. In der Familie wird erzählt, dass mein Urgroßvater so gewissenhaft dabei gewesen war, das Brennmaterial für den Winter bereitzustellen, dass er im hohen Alter von über 80 Jahren nach dem Holzhacken verstarb.
Jedes Zimmer in unserem Haus hat nach wie vor einen Ofen. So kann man ganz nach Bedarf nur einzelne Zimmer heizen. Die wichtigsten Feuerstellen sind in den Schlafzimmern, dort befinden sich schamottierte Öfen, die nachts lange Wärme speichern können und in der Küche, wo es einen Schwedenofen gibt, der schnell warm macht. Außerdem haben wir auch einen sogenannten Sparherd, auf dem man kochen kann. Im "Paradezimmer", dem größten Raum des Hauses, sorgt ein riesiger alter Kachelofen für das schöne Gefühl, das sich einstellt, wenn die milde Wärme eines Holzfeuers den Raum allmählich mit Behaglichkeit erfüllt. Es ist reizvoll, sich vorzustellen, wie die vielen Generationen vor uns hier auch schon um den Ofen saßen. Ganz früher beheizte wohl Dienstpersonal die Zimmer der Herrschaften über Türchen zu den Öfen vom Gang aus. So konnte schon frühmorgens Feuer gemacht werden, ohne die Herrschaften zu stören und ohne durch das Anschüren Lärm oder Schmutz zu verursachen.
Wir müssen uns die Holzscheite selbst ins Haus tragen, jeden Tag einen großen Weidenkorb pro Zimmer. Und die erste Handlung morgens im inzwischen wieder ausgekühlten Raum ist, morgens nach dem Aufwachen in den Öfen zu stochern, um die Asche zu entfernen. Grillanzünder und Kleinholz wird danach so hinein geschlichtet, dass die Flammen möglichst schnell wieder zu lodern beginnen. Einen Korb pro Raum pro Tag, das bedeutet eine beträchtliche Menge an Holzscheiten und erfordert sorgfältige Planung.
Vor einigen Jahren geschah es, dass wir zum Ende der kalten Jahreszeit ohne Holz blieben. Unsere damaligen Untermieter hatten fast alles verheizt, ohne uns Bescheid zu geben.
Als wir schließlich in die Osterferien kamen, stellte sich anhand der wohlbekannten Holzkorb-Kalkulation schnell heraus, dass die Scheite nur noch für zwei Tage reichen würden. In dem Jahr war der März noch sehr frostig. Empört über die nicht erfolgte Information über den Ernst der Lage in puncto Brennmaterial, begann Benno zu schimpfen, Vicky jammerte, dass ihr kalt war, weil wir nicht wie gewohnt nachschüren konnten. Der Holznotstand drohte unseren Urlaub vorzeitig zu beenden.
Auf die Schnelle einen Holzlieferanten zu finden, entpuppte sich als äußerst schwierig. Selbst die Nachbarn, die sonst immer bereitwillig Holzlieferanten empfahlen kannten niemanden, der so kurzfristig eine Fuhre liefern konnte. Übergangsweise musste ich mir sogar ein paar Schubkarren mit Scheiten ausleihen. “Dar adu-le înapoi că nici noi nu mai prea avem!”(“bring sie aber zurück, denn auch wir haben kaum mehr etwas…”) Hauptsache der Tag und die darauffolgende Nacht waren überbrückt.
Man riet mir: “Du-te la Ghioroc în piață şi întreabă. Acolo mai trec camioane cu lemne” (“fahr doch zum Markt nach Ghioroc, dort fahren Holzlaster vorbei”)
Die Marktfrauen, die ich dort an den Tischen antraf, waren in dicken Jacken und um den Kopf gebundene Tücher gehüllt. Sie hatten großes Verständnis, als ich ihnen unsere Situation erklärte: Kein Holz bei diesen Temperaturen, einen schimpfenden Mann und ein frierendes Kind zu haben, war wirklich schlimm. “Vai, ce rău…foarte rău!” sagten sie kopfschüttelnd. Immerhin gaben sie mir eine Handynummer. Die tiefe Männerstimme, die sich meldete, wurde verständnisvoll, ja geradezu sanft, als ich ins Telefon schluchzte und ihm unsere Notlage erklärte. Der Fahrer sagte, er wisse nicht, ob er so schnell eine Fuhre Stämme bekommen würde, schließlich bräuchte man dafür Akten, alles müsse legal sein. Er würde es aber versuchen.
“Vă rog frumos să faceți cumva rost, am un copil mic…” Den Ausdruck “a face cumva rost” kannte ich noch aus meiner Kindheit im Kommunismus. Er bedeutet, dass man etwas besorgen konnte, trotz Mangel und Knappheit.
Um es kurz zu machen: mein Flehen wurde erhört und am nächsten Tag fuhr ein voll beladener Laster mit Holzstämmen in unseren Hof.
Eine Holzlieferung ist im Dorf ein besonderes Ereignis von allgemeinem Interesse. Gewöhnlich werden die Stämme auf der Gasse abgeladen und erst nach geraumer Zeit in Stücke gesägt und in den Hof getragen. Zeit genug für die Nachbarn, die Qualität des Brennmaterials zu begutachten. Sind es schöne dicke Stämme aus Eichen- oder Buchenholz, wird anerkennend genickt und dem stolzen Besitzer gratuliert: “Ce lemne groase şi frumoase! De esență tare!” (“Was für dicke schöne Stämme! Von harter Beschaffenheit”) Gleich darauf folgt gewöhnlich die Frage: “Dar cât ai dat pe ele?” (“Wie viel hast du dafür bezahlt?”) Stimmt auch der Preis, wird der Lieferant sogleich weiterempfohlen und alle sind zufrieden. Doch wehe die Stämme sind krumm oder zu dünn! “Dar ce mi-ai adus aici… cozi de măturâ!? (“Was hast du mir denn da gebracht, Besenstiele?!”) wird schon der Lasterfahrer zur Rede gestellt. Der Empfänger hat dann nicht nur dem Schaden in Form von minderwertigem Holz, sondern muss auch mit spöttischen Kommentare der Nachbarn rechnen. Nicht selten wird so eine Fuhre, die nicht den Vorstellungen entspricht, empört zurückgeschickt.
Ein Luxus, den wir uns in dem Jahr, in dem wir ohne Holz geblieben sind, nicht leisten konnten, wir waren dankbar für das, was wir bekommen hatten. Später machten wir “haz din necaz” und erzählten im Warmen sitzend die Geschichte vom rettenden Holzkauf in letzter Minute. Denn so bitter es war, ohne Brennmaterial da zu stehen, so waren wir jedenfalls so privilegiert, uns dieses leisten zu können. Für ärmere Haushalte im Dorf dagegen ist Brennholz ein wichtiger Kostenfaktor.
Deshalb sieht man immer wieder Leute, die mit Wägelchen voller Äste und Klaubholz unterwegs sind. Vom Fenster aus beobachtete ich einmal eine sehr alte Frau, die sich abmühte einen Handwagen mit einem Bündel dürrer Zweige zu ziehen. Der Anblick der gebückten Alten, die noch die traditionellen schwarzen Röcke und auf dem Kopf das typische Kopftuch der Bäuerinnen trug, war herzzerreißend. Da war eine Frau, die sicherlich ihr ganzes Leben gearbeitet hatte und sich im hohen Alter noch mit Holzsammeln plagen musste. Ich schäme mich heute noch dafür, dass ich nicht sofort hinausgelaufen bin, um ihr zu helfen. Wie kostbar selbst dürre Äste sein können, wenn man kein Geld zum Holzkauf hat.
Nach diesen Erfahrungen schätze ich alles Holz, das auf meinem Grundstück anfällt, lagere es ein um es als Brennmaterial zu nutzen. Es ist ein bisschen wie mit Brot, das man nicht wegwerfen kann, weil man Leute kannte, die Hunger gelitten haben.
Wenn der Pfarrer jährlich Anfang Januar zum Haus segnen kommt, stellen wir im Paradezimmer eine brennenden Kerze, Brot, Salz und Wasser auf den Tisch, um für diese essentiellen, lebensnotwendigen Dinge den Segen zu erbitten. Das Wärme spendende Holz, dieser für die Menschen so wichtige Rohstoff, könnte eigentlich auch dazu gehören.
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