Letzte Woche wurden in Temeswar gleich zwei Jubiläen gefeiert. Sowohl der Deutschsprachige Wirtschaftsclub Banat als auch die Rumänisch-Deutsche Kulturgesellschaft Temeswar blicken auf ein 20-jähriges Bestehen zurück, was von beiden wichtigen Institutionen gebührend begangen wurde. Eingeladen worden und dabei gewesen zu sein gaben mir das schöne Gefühl, im Banat angekommen zu sein.
Aus Temeswar nach Paulisch, wo wir in unserem Haus die Herbstferien verbringen, zurückgekehrt, rechnete ich nach, wie lange wir das Anwesen als unser Heim bezeichnen. Dabei kam ich zu dem Schluss, dass eigentlich auch bei uns heuer ein Jubiläum im wahrsten Sinne des Wortes ins Haus steht. Im Jahr 2002 schlossen wir den Kaufvertrag ab und begannen mit der Renovierung eines Baudenkmals, das über 200 Jahre alt ist. Seit 20 Jahren bin ich also wieder im Banat, zusammen mit Benno, der sich vor über 30 Jahren nicht nur in das Mädchen, das hier glücklich war, sondern auch in dieses besondere Anwesen verliebt hatte und seitdem als Münchener auch in Paulisch zu Hause ist.
Uns wurde nichts geschenkt, unsere Sesshaftwerdung war durch harte Arbeit und einige Rückschläge gekennzeichnet. Mein Motiv dabei zu bleiben war und ist nicht nur mein familiärer Hintergrund. Mich fasziniert das alte Gemäuer schon seit ich als Kind hier immer wieder die Ferien verbracht habe. Mit meiner Affinität zur Vergangenheit möchte ich aber auch gerne die Historie des Gebäudes enträtseln, was durch die besondere Geschichte des Banats leider noch nicht vollständig gelungen ist. Das alte Grundbuch in Lippa reicht lediglich bis 1918 zurück, dort ist der Kauf meines Urgroßvaters Georg Düran von einem gewissen Peter Doni nach dem ersten Weltkrieg noch dokumentiert. Für die Zeit davor kann ich nur auf die Erzählungen der Ältesten im Dorf zurückgreifen, also auf die mündliche Überlieferung.
Von einer Nachfahrin des Vorbesitzers Peter Doni erfuhr ich die Geschichte einer Geisteraustreibung, die im Zusammenhang mit dem Haus wohl irgendwann im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts stattgefunden hatte. Davor war das verfallene Anwesen gemäß den Dorfältesten lange leer gestanden. Im Ort wurde gemunkelt, dass es dort spukte, da angeblich immer mal wieder seltsame Lichter beobachtet und Geräusche gehört wurden. Auch Erzählungen der Leute, dass dort ein Mord verübt worden war, schreckte potenzielle Käufer ab.
Peter Doni, der die Gespenstergeschichten kannte, wollte das Anwesen aber trotzdem erwerben. Er war jedoch ein Kind seiner Zeit und damit sehr abergläubisch. Das Gebäude ist mit zwei langen Gewölben fast vollständig unterkellert. Dieser dunkle Unterbau war wohl als Sitz der Geister ausfindig gemacht worden. Und so nahm die Familie Doni folgendes "ghostbusting" vor, wie mir persönlich von der Urenkelin “Bäsl Res” berichtet wurde. Vater, Mutter und die beiden jungen Söhne stellten sich zu Mitternacht bei Kerzenschein oben auf die Kellertreppe. Sie hatten zwei Säckchen dabei, eins mit Geld, das andere mit Brot gefüllt, die sie ins Dunkel hinunter warfen. Während dessen riefen sie folgenden Spruch hinterher: "Wir sind die neuen Herren des Hauses. Nehmt eure Bezahlung, verlasst das Haus und spukt fortan woanders. Im Paulischer Dialekt dürfte sich das so angehört haben: "Heert ihr Geischter! Mir sein di nei-i Herra vun dem Haus. Nemmt enger Gelt, gehd fort vun dou und geischtert anderswu rum!"
Am nächsten Morgen sahen die Geisterjäger im Keller nach: beide Säckchen waren verschwunden, was man als Erfolg der Aktion verbuchte. Ich weiß noch, wie die Doni-Nachfahrin, auch sie natürlich wie viele Alten im Dorf abergläubisch, vielsagend meinte: "Des truckani Brot hen die Meis gfress, awer wuu is des Geld verschwunn? Des kann doch net in die Ritza vum Bouda grutscht seia?!"
Als unsere Verwandten und Bekannten im Jahr 2002 erfahren haben, dass wir ein Haus in Rumänien gekauft hatten, war die Aufregung groß. Viele sprachen uns darauf an, die meisten Kommentare waren positiv.
Ausgerechnet meine Mutter, die im Paulischer Haus aufgewachsen war, stand der Investition skeptisch gegenüber. Sie befürchtete, dass wir den Schwierigkeiten dieser Unternehmung nicht gewachsen wären. In dem Zusammenhang sagte sie einen Satz, der mich schaudern lies: "Wirst schon sehen, auch du wirst dort Vermögen verlieren, so wie es uns auch weggenommen wurde." Meine Mutter spielte natürlich auf die Enteignung nach dem Krieg an. Die Felder und Weinberge der Bauern in Paulisch und in den anderen Banater Ortschaften sind damals verstaatlicht worden. Das Trauma sitzt bei der Generation der Kriegskinder, zu der meine Eltern gehören, noch immer tief. Zusammen mit den Deportationen nach Russland und den Bărăgan, von denen meine Familie, wie so viele andere, auch betroffen war, war es ein Grund, zu Zeiten des Kommunismus nach Deutschland auszuwandern. Was meine Mutter damals meinte, verstehe ich heute. Auch meine Generation ist mit dieser Vergangenheit der Banater Deutschen konfrontiert.
Das alte Trauma habe ich in der langen Zeit der Ungewissheit, ob unser Projekt glücken würde, am eigenen Leib erfahren. Mich ließen im Laufe der Jahre oft Sorgen wegen des Paulischer Hauses nachts wachliegen. Aber in meiner Kindheit in den siebziger Jahren hatte ich hier sehr viel Schönes erlebt. Das weniger Schöne wurde von uns Kindern ferngehalten. Im Gegensatz zu meinen Eltern wollte und konnte ich zurückkehren.
Auch wir haben also heuer einen Grund zu feiern. Und so werden wir uns mit unserer Tochter Victoria in der Nacht vor Allerheiligen, nachdem wir wie jedes Jahr um diese Zeit einen Kürbis zum "Dreilicht" ausgehöhlt haben, um Mitternacht damit auf die Kellertreppe stellen und rufen: “Servus Geister, dies ist eure Nacht! Wir wünschen euch ein frohes Halloween!"
Mit Gespenstern, auch denen der Vergangenheit, können wir umgehen.
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