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Schäden am Dach des Habsburgerhauses

Webe hin, webe her; und das Gewebe wird so fein: durch den Ring an meinem Finger kann ich es ziehen mit Leichtigkeit.…

Ich sehe entmutigt, wie winzig die Knoten sind in den Federnetzen, die du für die Geister knüpfst.…

Kannst du das Hausdach schon fehlerlos schließen, sagst du mit Schärfe. Sind deine Wasserkörbe schon dicht, und wie dünn waren deine Goldfäden….

aus “Wettergarten” von Rahel Hutmacher


Die Weinberge zwischen der Gemarkung Minisch oben, Paulisch unten und den Hügeln von Radna rechts.

Das Haus in Paulisch, unter dessen fragilem, mit brüchigen Ziegeln gedecktem Dach wir uns immer wieder gerne versammeln, ist sehr alt und in seinen Anfängen geheimnisumwittert. Ein genaues Baujahr konnten wir noch nicht ermitteln, doch wir konnten uns dem Zeitpunkt der Entstehung annähern. Es ist anzunehmen, dass das Gebäude, das sich von allen anderen Häusern im Ort unterscheidet, bei der Anlage Neupaulischs durch Siedler in der Habsburgerzeit vor 250 Jahren schon da war. Der Architekt, spezialisiert auf Baudenkmäler, den wir um Begutachtung gebeten hatten, bestätigte, dass es von seiner Bauweise kein Bauernhaus, sondern ein herrschaftliches Haus war. Die Siedlerhäuser reihten sich hinter ihm und dem umgebenden Joch Grund ein und bildeten die zur Zeit von Kaiser Joseph II. neu entstandene Neupaulischer Straße.


Der Ort Paulits, der sich wie eine Kette an die Weinberge anschließt auf der Landesaufnahme von 1763-1787

Wer zu der Zeit in dem durch seinen Laubengang italienisch anmutenden Gebäude lebte, konnte wir noch nicht herausfinden. Ob es der im benachbarten Gyorok ansässigen Adelsfamilie der Edelspacher gehörte oder ob es eine Verbindung zum Herzog von Modena, der zu der Zeit Besitzungen am Minischer Weinberg hatte oder gar zu seiner Majestät dem Kaiser höchstpersönlich gab, ist noch unklar. Fakt ist, dass Joseph II. zu der Zeit das Banat einige Mal bereist und auch dem Franziskanerkloster in Radna am 25. April 1768 einen Besuch abgestattet hat. Joseph II. bereiste das Banat incognito und ohne Pomp. Mir gefällt die Vorstellung, dass das Anwesen damals schon dort stand und der Kaiser Interesse gezeigt oder gar Gefallen am schlichten Landhaus gefunden hat, das direkt am Fuße der Minischer Weinberge lag, aus dem seine Mutter Maria-Theresia ihren Lieblingswein bezog.

Denn soweit man das auch im Zusammenhang mit einem Gebäude feststellen kann, ist folgendes sicher: Das Haus hat Charme.


Aus dem Film Pădureanca nach einer Novelle von Ioan Slavici. Der rumänische Schauspieler Victor George Rebengiuc spielt die Rolle des wohlhabenden Bauern Busuioc aus Curtici, der hier auf der Veranda des Hauses eine Mahlzeit einnimmt.


In den 80er Jahren hatte ein Filmteam die ganze Region nach einem Gutshaus als Drehort für die Verfilmung der Novelle “Pădureanca” von Ioan Slavici abgesucht. Die Wahl fiel ausgerechnet auf dieses von Deutschen bewohnte Anwesen in Paulisch. Im Film sollte es den “Conac” (die Villa) des rumänischen Großgrundbesitzers Busuioc darstellen, der auf der Veranda seine üppigen Mahlzeiten einnahm, von erhöhter Position Dienstboten herumscheuchte und die ganze Welt inklusive den eigenen Sohn von oben herab betrachtete. Der junge Jorgovan, der in die  Erntehelferin Simina verliebt ist, die, weil sie aus den Wäldern der Karpaten stammte, Pădureanca (Waldbewohnerin) genannt wurde, leidet unter dem patriarchalen Regiment seines Vater und unter dem autoritären System der Regierungszeit Kaiser Franz Josephs. Er und seine Freunde äußern im Film revolutionäre antidiktatorische Ideen, die man auch als subtile Kritik der Zustände der 80er Jahre verstehen konnte. Als ob es des Unheils nicht genug wäre, spielt das gesellschaftskritische Drama auch noch zur Zeit einer Choleraepidemie, ist also eine rumänische Version von Liebe zu Zeiten der Cholera, doch ohne Happy-End. Pădureanca wurde im kommunistischen und postkommunistischen Rumänien zum Kultfilm. Dem Haus, das damals dem ganzen Land als Musteranwesen eines Großgrundbesitzers präsentiert wurde, haftet in der Generation der über 50jährigen immer noch das Etikett an: “casa unde s-a filmat Pădureanca” (das Haus in dem Pădureanca gedreht wurde).


Wie anders ist es doch heute. Wenn wir von derselben Veranda wie der tyrannische Busuioc herunterblicken, tun wir das ohne Herrenallüren.  Vielmehr sehen wir, wo wir überall anpacken müssen. Als wir Anfang der 2000er Jahre, Rumänien war noch nicht in der EU, das Gemäuer, vor dem andere Kaufinteressenten zurückgeschreckt waren, erwarben, war es in einem so baufälligen Zustand, dass in den kaputten Rinnen eine Vielzahl von Vögel nisteten. Die Spatzen pfiffen es von den Dächern, dass es aufwendig werden würde, das große Haus zu restaurieren. Angesichts der langjährigen Arbeiten am Gebäude, die seit unserer Rückkehr immer wieder organisiert, beaufsichtigt und oft in Eigenregie durchgeführt wurden, wäre es passender, uns als Diener des Hauses zu bezeichnen, die dem Baudenkmal die gebührliche Reverenz erweisen.


Die Erdbebenschäden am Dach werden beseitigt

Eine der großen noch anstehenden Arbeiten am Gebäude stellt das Dach dar, das beim letzten Aufenthalt auch mal wieder inspiziert wurde. Das Erdbeben letzten Sommer hatte das Gebälk so gründlich durchgeschüttelt, dass Ziegel ersetzt und vor allem der Dachfirst erneuert werden musste. Dies war ein schwieriges Unterfangen gewesen, da die Handwerker aufgrund der fragilen alten Ziegel nicht auf das Satteldach hochklettern konnten. Nach langem hin und her und vielen geborstenen Ziegeln wurde ein Fahrzeug mit einer Hebebühne bestellt, die hoch genug war, um direkt zum First zu gelangen. 

Diese Reparaturen sollten nun überprüft und nachgesehen werden ob das Dach, das uns vor Winterfrost und Sommerhitze gleichermaßen abschirmt, wieder dicht war.


Auf Spurensuche im Dachgebälk

Vor einigen Jahren wollten wir eine umfassende Sanierung des Dachbodens in Angriff nehmen, um die Sorge um durch verschobene Dachziegel immer wieder entstehende undichte Stellen loszuwerden und zusätzlichen Wohnraum zu gewinnen. Da das Projekt eine völlige Beseitigung und Erneuerung des Dachstuhls um Raumhöhe zu gewinnen erfordert hätte, musste ein Gutachten bezüglich des alten Gebälks eingeholt werden. Die Untersuchung durch die Fachleute ergab, dass der Dachstuhl schon über hundertfünfzig Jahre auf dem Buckel hatte und spätestens Mitte des 19ten Jahrhunderts konstruiert worden war. Im alten Holz sind römische  Zahlen eingeritzt. Sie sollten wohl für Orientierung sorgen, damit die richtigen Balken auch an der richtigen Stelle eingebaut wurden.

Römische Zahlen im alten Holz

Voller Ehrfurcht und Respekt steigen wir seitdem auf den Boden und bewundern ein bisher bloß funktional betrachtetes Gebilde aus Holz und Ziegeln, unter dessen schützendem Schirm man nicht nur Staub, sondern förmlich auch Geschichte atmen kann. 


Versucht man sich in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Balken mit den eingeritzten römischen Zahlen zusammengebaut wurden, zurückzuversetzen, landet man nämlich in einer Zeit des Umbruchs in Europa. Unter dem Dach des Habsburgerreiches begannen damals die Nationen Österreich-Ungarns, nach Vorbildern im westlichen Teil des Kontinents, Freiheitsrechte zu fordern. Die Ungarn hatten in einem friedlichen Umsturz im März 1848, der von Österreich aus Angst vor der Revolution im eigenen Hause zunächst toleriert worden war, eine unabhängige Regierung installiert. Damals wurden wichtige Bürgerrechte wie Freiheit der Versammlung, Pressefreiheit, Aufhebung der Zensur und des Frondienstes und die Schaffung eines demokratischen Staates mit dem Oberbefehl über die ungarischen Regimenter gefordert. Nach den militärischen Erfolgen ihrer Truppen stiegen die Revolutionäre dem Hause Habsburg dermaßen auf's Dach, dass es den russischen Zaren Nikolaus, der als Gendarm Europas bezeichnet wurde, zu Hilfe rufen musste, um die neue autoritäre Macht des jungen Monarchen Franz Josef wiederherzustellen. Der erst 18-Jährige war seinem Onkel Ferdinand I., der aufgrund seiner Führungsschwäche im Zusammenhang mit der Revolution abdanken musste, auf den Thron gefolgt.


Der ungarische Freiheitskrieg endete am 13. August 1849 mit der Kapitulation der Revolutionsarmee in Világos bei Arad.

Den großen Bruder Russland an ihrer Seite und mit einer neuen Übermacht von 250.000 Soldaten schafften es die kaiserlichen Truppen schließlich, die ungarische Revolution niederzuschlagen. Die Kapitulation der Generäle der Revolutionsarmee erfolgte am 13. August 1849, also fast auf den Tag genau vor 175 Jahren in ung. Vilagos/ dt.Hellburg/ rum. Şiria, das am Fuße der Ausläufer Westkarpaten nur knapp 20 km von Paulisch entfernt liegt. Das Wahrzeichen von Şiria, die Ruine der Burg aus dem Mittelalter, müsste für einen auf dem Dachbalken sitzenden Zimmerer von Neupaulisch aus sichtbar gewesen sein. War das “vae victis”, das Wehklagen, das die Besiegten begleitete, über die Dörfer zu hören? Obwohl den Revolutionsgenerälen bei der Kapitulation freies Geleit zugesichert worden war, beschloss Kaiser Franz Joseph ihre Exekution, um ein Exempel zu statuieren.  


Die alten Holzbalken der “Şarpanta”, - so ein sehr passendes rumänisches Wort für die Konstruktion, die sich ums Eck über das ganze Haus spannt, gar schlängelt, (şarpe bedeutet auf rumänisch Schlange) -, muten wie ein Bild für die Vorgänge um die damalige Revolution an. Die Armee der Sieger schlängelte sich wohl am Haus in Paulisch vorbei. Sie führte die 13 in Világos gefangenen Generäle, unter denen sich auch einige Deutsche befanden, in die Festung Arad zur Exekution. Es lässt sich zwar nicht mit Sicherheit sagen, unter welchem Dach, doch die Henkersmahlzeit und die letzte Nacht verbrachten die Gefangenen, die später als die 13 Märtyrer von Arad in die ungarische Geschichte eingehen sollten, in Paulisch.


Gemälde von János Thorma: Die Märtyrer von Arad (wiki)


Bei der Untersuchung des Dachbodens, wurde auch ein Stück des Unterbaus freigelegt, das den schichtweisen Aufbau der Hausdecke sichtbar machte. Es kam zu Tage, wie Balken und Bretter sich in kunstvoller Anordnung abwechseln, ein System das zum Boden hin mit einer dicken Lehmschicht abgedichtet ist.  

So wie sich ein Dachaufbau zu einem Ganzen fügt, so hängen europäische Geschichte, Regionalgeschichte und die Geschichte eines Hauses eng zusammen. Könnte das alte Holz doch Zeugnis ablegen über Geschehnisse, von denen nur noch wenige Bescheid wissen.


Licht und Schatten im Dachstuhl

Durch den Sieg über die ungarische Revolution hat Kaiser Franz Joseph das Dach über seinem Reich nur notdürftig abgedichtet und seinem Haus im Zeitalter der Restauration kurzzeitig zu einer großen Machtfülle verholfen. Währenddessen hüllt sich die Geschichte des Paulischer Hauses wieder in geheimnisvolles Dunkel. Die mündliche Überlieferung der Alten aus dem Dorf besagt, dass es zwischenzeitlich einen langen Leerstand gab. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, etwa zeitgleich mit dem österreichisch-ungarischen Ausgleich, in dem Ungarn die wesentlichen Ziele der Revolution doch noch zugestanden wurden, bekam das Anwesen mit der Unternehmerfamilie Doni neue Besitzer. 

Wie wichtig es doch wäre, nicht nur die Schäden am Dach, sondern auch die Wissenslücken um die Geschichte des Hauses aus der Zeit der Habsburger zu schließen.


Fotos: Hans Rothgerber


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