Zum Abschied unsere schönsten Perspektiven von außen und innen.
Fotos: Hans Rothgerber, Texte: Astrid Ziegler
Baumschule. 1306 Pflanzen für Temeswar ist der Titel einer Installation, die sowohl optisch als auch finanziell als einer der herausragendsten Beiträge im Rahmen der Veranstaltungen Temeswar – Kulturhauptstadt Europas 2023 in Erinnerung bleiben wird. In dem fünfstöckigen begehbaren Metallgerüst waren 1.306 Pflanzen untergebracht, die vom Frühjahr bis zum Spätherbst inmitten des Stadtzentrums zur Schau gestellt wurden. Nach Datenerhebungen des Projektbetreibers Ordinul Arhitecților din România sind 200.000 Personen die Treppen der 26 Meter hohen Konstruktion emporgestiegen darunter 30% Einheimische aus Temeswar, 35% Besucher aus Rumänien sowie 35% Besucher aus dem Ausland. Die Kosten von 1,7 Millionen Lei (350.000.- €) wurden hauptsächlich von der Primăria Municipiului Timișoara prin Centrul de Proiecte, aber auch vom Ordinul Arhitecților din România prin Timbrul de arhitectură und der Banca Transilvania getragen.
Das Kunstwerk hat den Hauptpreis der Nationalen Architekturbiennale in der Kategorie Vergänglich gewonnen. Dazu kam die Nominierung für den Preis der Europäischen Union für zeitgenössische Architektur.
Im März 2023 wagten wir uns zum ersten Mal auf den Pflanzenturm, dessen modulare Metallstruktur, einem Baugerüst ähnlich, auf uns zuerst bedenklich wirkte. Die Laubbäume hatten noch nicht ausgetrieben, entsprechend transparent war der Blick auf den dahinterliegenden Corso.
Durch erklärende Tafeln bot die Pepiniera auch Ausblicke in die Geschichte und Architektur der Stadt. Der kulturell interessierte Besucher erhielt nicht nur Informationen zum Schloß und zum Löffler Palais, er sah diese Bauwerke auch aus einer ungewöhnlichen Perspektive. Aus dieser wirkten die Einschusslöcher aus der Zeit der Revolution 1989 zum Greifen nah.
Die wohl schönste Aussicht aus der Vogelperspektive, die sonst den Tauben am Opernplatz vorbehalten ist. Von der obersten Plattform aus erreichen einen die letzten Sonnenstrahlen während die Lloyd-Zeile schon im Schatten liegt.
Ein harmonisches Zusammenwirken der Horizontalen und Vertikalen aus dieser Perspektive. Die horizontale Bepflanzung des modernen Stadtzentrums führt aus diesem Blickwinkel gleich einer Auffahrtsallee zur Oper. Rechts daneben ragt der vertikale Garten wie ein Wachturm ins Blau des Himmels.
Der Pflanzenturm spendet den einzigen Schatten in der unbarmherzigen Mittagssonne auf dem Opernplatz und ist somit eine ideale Anlaufstelle bei Stadttouren. Vom Fuß der Pepiniera aus konnte man die Palais der Lloyd-Zeile von vor Sonne und Wind geschützter Stelle in den Blick nehmen.
Ein Herz für Temeswar.
Die Pepiniera ist bleibendes Bildelement auf den Fotos, die an den Heimattagen der Banater Deutschen am 4. Juni 2023 auf dem Opernplatz geschossen wurden.
Der vertikale Garten war auch perfekter Aussichtsturm auf die Darbietungen am Opernplatz.
Von Zweigen, Blattwerk und Blüten eingerahmt sind die Gebäude am Opernplatz nur im Sommer der Kulturhauptstadt 2023 gewesen.
Äpfel im vertikalen Garten.
Das Konzept für den Pflanzenturm stammt vom katalanischen Architekturbüro MAIO Architects, die Planung von einem Team von lokalen Architekten, Landschaftsarchitekten und Statiker mit der Beteiligung der Fakultät für Agrarwissenschaften.
Südländisches Flair: Blick auf die Fassade der Oper aus Travertin hinter Pinienzweigen.
Die Pflanzen sollen zuletzt auf Freiflächen in der Stadt einen Platz bekommen, so hoffentlich auch diese edlen Koniferen.
Der Corso im Zeichen der Sonnenblume. Der Rundgang durch die Vegetation der Pepiniera bietet auch eine Darstellung der Botanik der geografischen Umgebung der Stadt.
Schon beim Aufstieg fällt das Regelwerk ins Auge, das auch durch Bilder deutlich für alle dargestellt ist. Maschendraht als Schutz wirkt fragil und konterkariert beim Durchblick das Muster des Pflasters.
Jugendlicher Leichtsinn überwindet Verbote und Barrikaden und verursacht Nervenkitzel.
Die Renaşterea bănăţeană schrieb: Am Freitag, 1. September 2023, kletterte ein junger Mann in die oberste Etage des Gerüsts „Pepiniera 1306 plante“ in der Piața Operei, … wo er sich an der Außenstange festhielt und Klimmzüge machte.
Pures Glück, dass kein Unglück geschah.
Blick auf die Alba-Iulia-Straße, die strada cu umbrelle mit Schirm und Charme statt Kanone. Vor mehr als hundert Jahren befanden sich hier noch Festungsmauern.
Die Installation Baumschule. 1306 Pflanzen für Temeswar im Zusammenhang mit der Kulturhauptstadt Timișoara 2023 wurde von Besuchern sehr gut angenommen. Bei manchen Einheimischen hingegen ist sie umstritten. Das hat sie gemeinsam mit der Fassade der in der k. u. k. Zeit erbauten Oper, vor der sie steht. Das neue Gesicht aus den 1930er Jahren wurde schließlich ein weltweites Symbol der rumänischen Revolution von 1989. Die Opernfassade bleibt, das temporäre Kunstwerk des Pflanzenturms ist Geschichte.
Adio Pepinieră!
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