Inspiriert durch seine rumänischen Musen malte Henry Matisse ein wunderbares Bild einer jungen Frau in einer typischen Landestracht. Obwohl die Kleidung, wie auch das Gesicht des Modells stilisiert sind, erkennt man doch ganz klar die typische Frauentracht, auf rumänisch "Ie" genannt.
Ich liebte diese Blusen schon als Kind, als sie in den warmen Temeswarer Sommern das ideale Kleidungsstück waren: aus luftigem, hauchdünnem weißen Baumwollgewebe, das mit buntem Garn handbestickt ist. Trotzdem reißfest, knitterfrei, durch die angenehme Weite absolut bequem. Und einfach total kleidsam, denn durch den weiß-bunten Kontrast kamen sonnengebräunte Haut, dunkle Augen und Haare gut zur Geltung.
Ich erinnere mich, dass auch meine Mutter, Tanten, Cousinen und andere weibliche Verwandte diese Blusen in Temeswar gerne trugen, denn sie waren schick und trotzdem alltagstauglich und praktisch.
Wir haben sie nach Deutschland mitgenommen, wo sie in unseren Schränken nach wie vor aufbewahrt werden. Andere Kleidungsstücke, der Mode unterworfen, wandern regelmäßig in den Altkleiderderkontainer. Die "Ie" bleibt, wie das Dirndl, das daneben hängt, ein Teil meiner Identität, die ich nicht abstreifen kann.
Die rumänische Tracht auf dem Foto stammt hingegen nicht aus dem Banat, sondern aus einer Gegend südlich von Bukarest. Sie ist das großzügige Geschenk einer Frau, die ich kaum kannte. Iordana war selbst nur zu Besuch in Paulisch, als wir dort anfingen unser Haus zu renovieren. Sie war beeindruckt von unserem Wagnis und davon, dass ich zu den neuen Bewohnern der ehemaligen "strada nemțească", der gewesenen "deutschen Straße", Kontakt aufgenommen habe. Da ich mich auch mit einem Geschenk revanchieren wollte, fragte ich sie, womit ich ihr eine Freude machen kann. Sie wollte nichts, nur dass die alte Tracht, die Familienerbstück war, in guten Händen ist.
Ich habe sie leider aus den Augen verloren, doch ihre "Ie" halte ich in Ehren. Wenn ich sie trage, denke ich an das faszinierende Land, in dem ich geboren und aufgewachsen bin. Trotz der Ceaușescu-Diktatur habe ich schon als Kind die alte Multiethnizität kennen gelernt. Denn unter meinen Freundinnen und Freunden waren selbstverständlich auch ungarische und rumänische Kinder. Und sicherlich noch weitere Ethnien, denn für uns Kinder war das kein Thema.
Heute möchte ich an meine Freundinnen und Freunde im Land und in der Diaspora denken. An Leute wie Iordana, die mir als besonderes Erbe ihre Tracht vermacht hat.
Am Abend wird es eine Zoom-Konferenz verschiedener rumänischer Migrantenorganisationen unter dem Titel “Hai să dăm mână cu mână” geben, zu der ich als Historikerin eingeladen wurde. Schon im Vorfeld im Whatsapp Chat, in dem es auch um Identitäten ging, wurde ich herzlich aufgenommen. Auf dieser Basis der Verständigung, des Austauschs und der Freundschaft wünsche ich meinen rumänischen Freunden für das Land, das uns alle angeht, die wir dort ein Zuhause hatten und haben, anlässlich des Rumänischen Nationalfeiertages am 1. Dezember:
"La mulți ani"!
“Lasst uns einander die Hände reichen”!
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