Zur Verschleppung der Deutschen aus Rumänien in die Sowjetunion
Manchmal kommt das Leid pastellfarben daher und nur diejenigen erkennen es und erschaudern, die eine bestimmte Herkunft haben und zu einer bestimmten Gemeinschaft gehören.
Die Deutschen, die aus Rumänien ausgewandert sind sowie die dort verbliebene deutsche Minderheit denken jährlich daran, dass ihre Angehörigen im Januar 1945 aus den Familien gerissen und in die Sowjetunion, in das Gebiet der heutigen Ukraine, zur Zwangsarbeit deportiert wurden. In Kollektivschuld genommen, sollten Frauen, halbe Kinder und Zivilisten wieder aufbauen, was Hitlerdeutschland dort zerstört hatte. Es betraf fast alle Familien der Deutschen Rumäniens, darunter die der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen.
Dieses kollektive Trauma wurde von Herta Müller in ihrem Roman Atemschaukel, für den sie den Nobelpreis erhielt, auch weltweit bekannt gemacht.
Die betroffenen Familien, zu denen auch meine gehört, entwickelten bestimmte Codes im Zusammenhang mit der Deportation. Denn in der Zeit der kommunistischen Diktatur konnte es gefährlich sein, darüber zu viele Worte zu machen.
Russland z.B. stand und steht immer noch für die schwerste Prüfung unserer Angehörigen, für die dunkelsten Jahre unserer Geschichte. Gleichzeitig wirkt es wie ein Signalwort für ein gemeinsames Band, durch das die Betroffenen verbunden sind.
Brot bekam einen ganz eigenen, hohen Wert, denn neben der dünnen Krautsuppe sicherte es das Überleben der Schwerstarbeiter. Sogar noch den Kindern wurde nahegelegt, dass man Brot nicht wegwerfen darf und selbst Krümel noch kostbar sind. Lager bezeichnete die elende Behausung, in der man zusammengepfercht einem Schicksal, das man nicht gestalten konnte, ausgeliefert war.
Damals in Russland im Lager bekam ich von meinem Großvater oft zu hören, denn er erzählte bereitwillig davon.
Das exotischste Codewort, eine russische Vokabel, die ich schon als Kind lernte, war Pufoaika. Die wattierte Jacke, die die meisten Zwangsarbeiter trugen, die jedoch völlig unzureichenden Schutz im russischen Winter bot, wurde zum typischen Kleidungsstück, gleich einer Uniform der Deportierten.
Diese Informationen sind essentiell, um das Gemälde des Banater Malers Franz Ferch Kennst mich nimmer, interpretieren zu können.
Ohne die Lokalisierung im rumäniendeutschen Kontext der Russlanddeportation sieht man lediglich eine Frau, die ein Kind begrüßt, das der Ankommenden von einem betagten Paar entgegen geschoben wird. Eine zugeneigte junge Frau könnte man meinen, ein schüchternes Kind, die sich lange nicht gesehen haben, bemühte ältere Menschen, die zur Kontaktaufnahme ermuntern.
Der geschichtliche Hintergrund verändert jedoch alles. Das karge Ambiente des Hauses, in dem die Personengruppe sich befindet, deutet auf einen Eingangsbereich in einem typischen Banater Haus hin. Dies ist am Fetzenteppich, der in vielen Zimmern lag und dem kleinen Weihwasserbecken, kennzeichnend für die Gläubigkeit der Bewohner, zu erkennen. Die Bekleidung weist die junge Frau als Russlandheimkehrerin aus, die die Zwangsarbeit und das grauenvolle Lager überlebt hat. Kennt man die Geschichte, weiß man, dass sie eine Pufoaika trägt, die Kluft, die den Rückkehrenden aus der Deportation verpasst wurde.
Das kleine Mädchen sträubt sich, weil es seine Mutter jahrelang nicht gesehen hat und sie ihm fremd geworden ist. Es war offenbar, wie so viele andere, bei den Großeltern aufgewachsen. Die Leistung dieser Großeltern-Generation, die sich um die zurückgelassenen Kinder rührend gekümmert hatten, ist nicht hoch genug zu würdigen. Die alten Leute im Bild versuchen das Mädchen seiner Mutter wieder nahe zu bringen und schieben es zu ihr hin, obwohl es sich sichtlich sträubt. Ein Vater ist nicht in Sicht, in vielen Fällen ist der männliche Elternteil aus Krieg, Gefangenschaft und Deportation nicht zurückgekehrt.
Das Bild Kennst mich nimmer von Franz Ferch thematisiert für Eingeweihte in seiner Subtilität umso eindringlicher das Leid, das die Russlandverschleppung bei Betroffenen, deren Eltern und Kindern, hervorgerufen hat. Bisher lediglich durch Peter Krier beschrieben, hat es das Potential, eine Ikone der von der Deportation betroffenen Familien zu sein. Durch die helle Farbigkeit und die Bildkomposition, die die Geschlossenheit der Familie darstellt, gibt der Maler dem Bild, das zeitnah zur Heimkehr der Deportierten gemalt wurde, eine positive hoffnungsvolle Botschaft. Die Mutter ist zurückgekehrt und wird in den Kreis der Familie wieder aufgenommen.
Von Kindern, die sich von ihren Müttern und Vätern für immer verabschieden mussten, oder ein Leben lang unter den Folgen zu leiden hatten, selbst wenn Eltern wiedergekommen waren, erfährt man in der Publikation Die Verschleppung der Deutschen aus dem Banat in die Sowjetunion aus der Sicht ihrer Kinder, erschienen in der Reihe Banater Bibliothek der Landsmannschaft der Banater Schwaben.
Auch meine Mutter und mein Onkel mussten drei Jahre lang ohne ihren Vater aufwachsen. Mein Großvater hatte das Glück Russland zu überleben und kam erst nach einer für die Heimkehrer typischen Odyssee zurück zu seiner Familie ins Banat. Die beiden Kinder waren überrascht von der Ankunft des Vaters und merkten, dass er ihnen fremd geworden war. Auch sie werden eine Weile gebraucht haben, um wieder mit ihm vertraut zu werden.
Und so steht das Bild von Franz Ferch, in der Geschichte unserer Landsleute nicht nur für ein Happy End, sondern markiert auch einen neuen schwierigen Anfang. Die wieder vereinten Familienangehörigen mussten neue Beziehungen zueinander aufbauen und die schwere Nachkriegszeit meistern.
Die Geschichten dieser Lebensleistungen und die Strategien der Bewältigung wurden in den betroffenen Familien auch an die Enkelgeneration weitergegeben. Diese entwickelte einen eigenen Blick, eine eigene Perspektive darauf. Somit wirkt das kollektive Trauma der Russlanddeportation auch in ihnen nach. Wir Enkel können uns heute an die Generation unserer Eltern wenden und sie bitten zu erzählen, was sie noch wissen. Die Russlanddeportation verbindet uns weiterhin: in den Familien und als Deutsche aus Rumänien. Und es wird Zeit, dass auch wir Enkel uns zu Wort melden.
Wir hoffen, dass so etwas nie und niemals wieder passiert!