Von meinem Schreibtisch aus blicke ich ins Grüne unseres Gartens. Dort befinden sich ganz hinten zwei Wasserbecken, in denen unsere zwei gefiederten Freundinnen wieder schwimmen können. Es handelt sich um unsere Gänse Susi und Gusti, die nun schon seit einiger Zeit in unserem Garten leben.
In München wohnen wir in einem fast schon ländlichen Stadtviertel, in dem Haustiere willkommen sind, am Stadtrand der Großstadt, die Millionendorf genannt wird. Hier gibt es in vielen Häusern Hunde und Katzen. Wir sind jedoch die einzigen, die auch Gänse halten.
In der Pfingstzeit denke ich oft daran zurück, wie wir zu diesen hier eher außergewöhnlichen Haustieren kamen.
Auf unserem Anwesen in Paulisch haben wir schon seit zehn Jahren eine Gänseschar, die sich im Hof frei bewegen kann. Hausgänse können sich nicht hoch in die Luft erheben, doch sie fliegen manchmal auf halber Höhe über das ganze Grundstück. Im Frühling brüten sie oft, doch die Naturbrut ist immer großen Gefahren ausgesetzt. Nicht nur für den Fuchs, der vom Weinberg manchmal in den Gärten vorbei schaut, stellen die Gänse eine willkommene Beute dar. Auch Marder und Ratten dezimieren die Gössel, der Habicht ist eine unberechenbare Bedrohung aus der Luft. Für uns ist es jedes Mal traurig, wenn die frisch geschlüpften Gänschen verschwinden.
Vor vier Jahren um diese Zeit hatten die Gänse ein einziges Gänschen ausgebrütet. In jenem Jahr hatte der Iltis die brütende Gans immer wieder gestört und immer wieder ihre Eier verspeist. Wir waren erstaunt, dass überhaupt ein Küken geschlüpft war. Um es nicht dem Raubtier, das schon darauf lauerte, zu überlassen, rettete es der Nachbar, der die Tiere damals während unserer Abwesenheit versorgte.
Der Zufall wollte es, dass wir damals nach Paulisch kamen, um dort die Pfingstferien zu verbringen und so nahm ich es in meine Obhut. Gänseküken sehen das Wesen, das sich in den ersten Tagen um sie kümmert, als Mutter an. Dieses Phänomen wurde von dem berühmten Verhaltensforscher Konrad Lorenz dokumentiert.
Das flauschige gelbe Knäuel begann mir aufgeregt piepsend überall hinterher zu laufen. Wir lockten es mit einem Kinderreim, den Vicky kannte: Aramsamsam aramsamsam gulligulligulli ramsamsam … und es gewöhnte sich an diese Melodie. Ich zeigte dem Kleinen die besten Stellen zum Grasen und stellte ihm ein Gefäß mit Wasser für die Gefiederpflege hin. Dazu gab es eine Körnermischung und es war eine Freude zu sehen, wie gut es sich entwickelte. Vicky nannte das Gänseküken Gustav, denn es war als einziges Überlebendes des Geleges offenbar ein Glückspilz wie Gustav Gans. Bei allem was wir taten, schaute unser Küke neugierig zu und steckte seinen Schnabel sogar in meine Lektüre.
Da ich mich inzwischen im Internet in den Foren von Gänsezüchtern informiert hatte, wusste ich, dass wir unseren geretteten Gustav keinesfalls zurücklassen durften. Seine Familie würde ihn nach den drei Wochen, die er bei uns war, nicht mehr aufnehmen. Der Gänserich würde das Gänschen wahrscheinlich sogar töten. Also war es klar, dass wir es mit nach München nehmen mussten.
Es gehörte nun zu uns und wir waren für ihn verantwortlich. Wir nahmen Gusti in einer Transportbox, die für Katzen gedacht ist mit auf die lange Reise. Ob die Grenzer das zarte Schnattern im Auto nicht hörten? Die Tankstopps wurden für Auslauf genutzt und wir kamen mit unserer ungewöhnlichen Fracht in München an.
Bei meinen Nachforschungen über Gänse habe ich auch erfahren, dass Gustav nicht alleine bleiben durfte. So beschlossen wir, ihm eine Partnerin zu suchen, um ihn zu vergesellschaften. Zum Glück fanden wir Susi bald auf einem Geflügelmarkt. Sie war von zwei Jungs in einem Korb dorthin gebracht worden, um sie vor der Schlachtung zu retten. Wie sich herausstellte, war sie schon eine ältere Dame, die wohl viele Gössel großgezogen hatte, nun aber keine Eier mehr legte.
Zu Hause nahm sie Gustav rührend unter ihre erfahrenen Fittiche und sozialisierte ihn fortan nach Gänseart.
Susi erkannte wohl auch als erste von Anfang an seine wahre Identität. Als Gustav nämlich im nächsten Frühling ein Ei legte, war unsere Überraschung groß. Versehentlich hatten wir das Gänseküken von Anfang an für männlich gehalten. Es hatte den Kopf hoch getragen, hell und laut geschnattert, sich auch angriffslustig gezeigt . Doch aus Gustav war über Nacht eine Auguste geworden. Der Kosename Gusti konnte bleiben und passte trotzdem.
Nun haben wir ein gleichgeschlechtliches Gänsepaar, das sich wunderbar versteht. Susi ist die feine Dame, eine Lady, die vornehm und zurückhaltend wirkt. Gusti ist eine Draufgängerin geblieben, die schimpft und schreit und wenn man sie zu sehr ärgert, sogar zwickt. Glücklich sind sie beide.
Für uns war es ein einzigartiges Erlebnis, ein Gänschen so hautnah aufwachsen zu sehen. Es war schön und anstrengend zugleich. Ich war froh, dass Susi mich als Gänsemutter ablöste. Es ist wunderbar, dass meine beiden Freundinnen mir immer noch gerne hinterherlaufen, wenn ich sie morgens unser altes Lied singend aus ihrem Stall lasse. Es hat Rhythmus und Melodie von Aramsamsam doch den Text habe ich inzwischen angepasst: Im Gänsemarsch, im Gänsemarsch, Susisusisusi Gustigusti Gänsemarsch!
Wir laufen dann zusammen durch den ganzen Garten bis in den hinteren Bereich zu ihrem Schwimmbecken. Dort springen die beiden ins kühle Nass, tauchen ihren Kopf unter und schütten sich mit den Flügeln Wasser über das Gefieder. Dieses sorglose Leben hätte ich auch gerne, es ist so entschleunigend, dass ich selbst als Zuschauerin ruhig und fröhlich werde und jeder Stress von mir abfällt.
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