Immer noch und immer wieder ist der Garten in Paulisch für mich in Erinnerung mit der Frau verbunden, die ihn in meiner Kindheit bearbeitete und pflegte. Elisabeth Reingruber, die Schwester meiner Großmutter, war zu der Zeit, als ich sie als Lissi-Tante kennenlernte, schon Witwe und war nach dem Auszug ihrer Söhne allein in dem großen Anwesen geblieben. Wenn wir im Sommer aus Temeswar aufs Dorf kamen, ließ sie uns wie selbstverständlich an ihrem naturverbundenen Landleben teilhaben. Wie die meisten banatschwäbischen Hausfrauen konnte sie regionale Spezialitäten zubereiten und verwöhnte uns damit. Sie machte zum Beispiel “Kuglhupf” im Holzofen, walgte Nudelteig hauchdünn aus und schnitt daraus wellige “Strumpfbandl” für die Hendlsuppe, deren Fleischeinlage frisch aus dem Hof kam. Sonntags kam immer Nuss- oder Mohnstrudel aus den frischen Eiern ihrer glücklichen, freilaufenden Hühner auf den Tisch. Die Nüsse für die saftige Füllung vom Nussbaum im Garten, im Herbst gesammelt, der “Maak” (Mohn) aus den Kapseln, die im Sommer zahlreich dort kultiviert wurden. Musste ein Mittagsmahl ohne großen Aufwand vorbereitet werden, ging Lissi-Tante schon morgens in den Garten und brachte "Kukuruz" (Maiskolben) mit, der den Vormittag über in den Lieschen am “Aragas” köchelte und Küche und Gang mit dem typischen Duft erfüllte, der Vorfreude aufkommen lies. Für all diese Köstlichkeiten musste Lissi nicht einkaufen gehen. Heute würde man sagen, sie war "Selbstversorgerin", nur wenige Lebensmittel wie Zucker, Salz und Öl mussten in der “Alimentara” gekauft werden.
Wir wollten heuer eine Ahnung davon bekommen, wie es ist, Nahrungsmittel selbst zu kultivieren und frisch zu verarbeiten. Ein Experiment, so angelegt, dass wir mit möglichst geringem Aufwand Gemüse direkt aus dem eigenen Garten auf den Teller bekommen. Ein weiterer Grund war, ein Gefühl für die körperliche Arbeit zu bekommen. Nicht zuletzt ein Interesse für die Fertigkeiten im Zusammenhang mit Gemüsekulturen wie Boden bereiten, säen, jäten und hacken, in denen Generationen vor uns noch geübt waren.
Für Lissi-Tante hatte die traditionelle, naturverbundene Lebensweise ihr ganzes Dasein ausgemacht und ihr Leben geprägt. Sie machte keine Experimente sondern verwendete den Großteil ihrer Zeit der Versorgung der Nutztiere, - außer dem Geflügel im Hof gab es auch ein oder zwei Schweine im Stall-und des angrenzenden Gartens, der damals mit Gemüse und Weinreben bepflanzt war.
Mit Körben voller saisonaler Produkte wie z.B. “Umorke” (Gurken), “Paradeis” (Tomaten) und Paprika, die sie auf der fruchtbaren, tiefgründigen Erde gezogen hatte, fuhr sie regelmäßig mit den anderen Frauen aus dem Dorf mit dem “Mottor”, der alten elektrischen Bahn nach Lippa zum “Fratscheln”. Der Markt hinter dem türkischen Basar war zugleich Versorgungspunkt und Zentrum für die soziale Interaktion der Bevölkerung.
Das für die Bestellung des Bodens, das Hegen und Pflegen und Verwerten von Nutzpflanzen nötige Wissen war über Generationen seit der Einwanderung bewahrt und weitergegeben worden. Frauen wie Lissi Tante gab es zu der Zeit noch in allen Dörfern und sie lebten uns Nachgeborenen diese Lebensweise vor, die es bald nicht mehr geben sollte. In unserem Paulischer Haus war Lissi die letzte, die ihr Leben diesem der Natur und dem Wechsel der Jahreszeiten unterworfenen Dasein verschrieb.
Die Versuchsanordnung für unser Experiment in Punkto Gemüseanbau bestand darin, ein verhältnismäßig kleines Beet während unserer Anwesenheit zu bearbeiten und auch in der Zeit der Abwesenheit von helfenden Händen in Schuss zu halten. Die Herausforderung bestand darin, dass ich zwar noch eine Erinnerung an die Gärten meiner Kindheit habe, doch kaum Erfahrung im Gemüseanbau. Und so wurde mir schon beim ersten Spatenstich klar, dass die Arbeit im Beet anstrengend wird und viel Kraft erfordert.
Im Hochsommer war es zudem so heiß, dass man nur frühmorgens jäten, hacken oder ernten konnte. Im Bild nutzen wir gerade einen der seltenen Regenschauer, um Kartoffeln auszumachen. Trotz Wolken war es bei ca. 30 Grad sehr schwül und das Graben mit dem Spaten ungewohnt und schweißtreibend.
Voller Dankbarkeit blicken wir auf die Erfahrungen, die uns das Experiment Gemüsebeet beschert hat. Es war genug, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie schön und wie anstrengend die Zeit im Garten war und wie wunderbar die Früchte dieser Arbeit schmecken. Einen Einblick in die Selbstversorgung durften wir über das Jahr mitnehmen.
Wie es ist, wenn man sein ganzes Leben danach ausrichtet, wussten nur die Alten, die diese bäuerliche Lebensweise lebten, in die wir nur hineingeschnuppert haben.
Wir haben Tomaten, Zucchini, Gurken, Kartoffeln, Bohnen und Zwiebeln im Beet geerntet, dazu Marillen vom angrenzenden Baum im Garten gepflückt. Es erfüllt einen mit stiller Freude, dass diese Lebensmittel im eigenen Garten auf natürliche Weise gewachsen sind. Nur zu Gartenhandschuhen, -Schere und Hacke zu greifen, um das Abendessen zu besorgen, war ein ganz besonderes Erlebnis.
Das frisch geerntete Gemüse wird möglichst schonend zu einem einfachen aber köstlichen und gesunden Mittagsmahl verarbeitet. Es gibt in der Schale gekochte Kartoffeln mit Tsatsiki, Karotten, Tomatensalat und gefüllte im Ofen überbackene Zucchini.
Die Gurkenpflanzen im Beet wuchsen dankbar und mit minimaler Pflege. Hilfreich war für unseren Teilzeit-Aufenthalt im Banat auch, dass sie in unterschiedlichen Größen geerntet werden konnten und somit nicht alle auf einmal reif waren. Aus den großen Exemplaren machte ich Salat und Tsatsiki, die kleinen werden mit Salz und Gewürzen milchsauer eingelegt. Diese probiotische Köstlichkeit, die einfach in der Zubereitung ist, die man aber in dieser Qualität nicht kaufen kann, ist äußerst gesund.
Die Tomaten- und Pflaumenernte war so gut ausgefallen, dass ich eine beträchtliche Menge nach München mitnehmen konnte. Wir brachten die Tomatensorten “Ochsenherz”, (große Fleischtomaten speziell zum Einkochen) und Aurora, mit rosafarbenen sehr aromatischen Früchten mit. Die Kunst bestand darin, das Gemüse einzukochen und haltbar zu machen. In Rumänien gibt es das traditionelle “bulion de roşii”, das ist Tomatensaft, der mit Petersilie, Sellerie- und Liebstöckelblättern stundenlang eingekocht wurde. Dieses Rezept, für das die Tomaten durch eine Mühle gepresst werden, die Schalen und Kerne entfernt, produziert viel Abfall. Deshalb erfolgt diese Verarbeitung im Banat meist im Hof oder in der Sommerküche, wo es nicht so schlimm ist, dass hinterher die ganze Arbeitsfläche verschmutzt ist. Um die kostbaren Tomaten möglichst schonend und zeitsparend zu verarbeiten, habe ich ein eigenes Rezept verwendet. Sie werden nicht gemahlen, sondern lediglich geschält und in Stücke geschnitten, mit Knoblauch und Basilikum kurz aufgekocht und in Gläsern portioniert. Die Portionen können als Nudelsauce verwendet werden oder als Suppenzutat. Auch hier gilt wie bei den sauren Gurken: diese aromatischen Köstlichkeiten kann man nicht kaufen.
Die sonnengereiften Pflaumen wurden entsteint, als ganze Früchte 4 Minuten mit Gelierzucker, Zimt und einer Vanilleschote zu Marmelade gekocht - ein einzigartiges Duft und Geschmackserlebnis.
Mit dem Dank für die Ernte ist die Gartenarbeit im Jahreskreis noch nicht beendet. Das Beet wartet darauf, dass wir wiederkommen und es für den Winter vorbereiten. So viel steht aber schon fest: nächstes Jahr geht es weiter mit dem Experiment Gemüseanbau, mit frischem Elan und zusätzlicher Erfahrung.
Sehr schön, liebe Astrid. Und wie Du schon gesagt hast: So etwas kann man nicht kaufen.
Es ist alles einzigartig in Herstellung und Geschmack. Eine beneidenswerte Erfahrung in jeder Hinsicht.
Liebe Grüße
Edith