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AutorenbildAstrid Ziegler

Ene mene miste, unterwegs mit der Kiste


Rechts die Auswanderer- bzw. Rückwanderer Kiste im Paulischer Haus meiner Urgroßeltern

Ein Abzählreim, den wir Mitte der 70er Jahre in der Allgemeinschule (rum. școala generală) Nr. 8 in Temeswar in der Pause verwendeten, ging so: Ene mene miste, es rappelt in der Kiste, ene mene meck und du bist weg.

Auf einmal war ich weg, hatte Abschied genommen von Großeltern, Freundinnen und Freunden, der Schule, der Geburtsstadt und dem Elternhaus, von meiner geliebten Hündin Bessi, kurzum dem ganzen glücklichen Mikrokosmos in dem ich bis dahin gelebt hatte. Auf meine Mutter und mich warteten mein Vater und eine andere Welt. Eine Welt, in die uns der Orientexpress genannte Zug 1980 von Curtici nach München brachte.

Im Lastenwaggon reiste auch eine Holzkiste mit verzollten Habseligkeiten wie Geschirr, Handtücher, Kleider, immerhin auch ein paar Lieblingsspielsachen, auf die ich bestanden hatte, mit.


Die Aushängeschilder der neuen Welt bemerkte ich schon auf der Fahrt vom Münchener Hauptbahnhof zur ersten Unterkunft. Es waren riesige neonfarbene Lichtreklame-Bänder am Stachus. Im nächtlich dunklen Temeswar der damaligen Zeit war so etwas völlig undenkbar gewesen. Ich staunte als wäre ich in einem Wunderland angekommen.

Doch Barbie Puppen, Lego Steine, Jeans und Adidas, konnten mich nicht darüber hinwegtrösten, dass ich die Temeswarer Spielgefährten vermisste. Wie eine dunkle Fee hatte eine Lehrerin, durch mein Weggehen gekränkt, mir zum Abschied den Satz mit auf den Weg gegeben: Sper să fii fericită acolo! (Hoffentlich wirst du dort glücklich werden!) Anfangs war ich tatsächlich alles andere als froh über meine Verpflanzung. Der große Kreis von Bezugspersonen war zusammengeschrumpft, die Temeswarer Vorstadtvilla mit Patina und Garten zum Einzimmerappartement in München geworden, die wilde Freiheit der Kindheit in Rumänien erst mal dahin.


Einwandererschicksal ist es nunmal sich umzuorientieren, neu zu sortieren und an die Gegebenheiten anzupassen. Und so lernte ich schnell, dass man z.B. in der Schule nach dem Aufrufen nicht hochspringen und stramm stehen muss. Muskelfieber war hier ein Muskelkater. Auch in München gab es ganz prima Spiele auf dem Pausenhof wie Gummi hüpfen durch die ich auch hier Freundschaften schließen konnte. Schon nach kurzer Zeit schien mich nichts mehr von der Münchener Jugend zu unterscheiden. Weder Klamotten noch Hobbies, auch kein Akzent und kein Musikgeschmack.

Als genauso so viele Jahre seit meinem Abschied in Temeswar vergangen waren, wie bei einem Countdown, hatte ich die maximal mögliche Anpassung und Integration vollzogen.


Unter der Oberfläche der typischen Bundesdeutschen, die ich geworden war, gab es aber eine Sehnsucht, die mich zu den Stätten der Kindheit zurückzog. Es dauerte noch einige Jahre, dann packte ich die alte Holzkiste, die die Zeit im Keller überdauert hatte, ein zweites Mal. Diesmal reiste sie in einem Möbellaster Richtung Osten bis nach Paulisch. Dort hatte ich das Elternhaus meiner Großmutter erworben. Auch diesmal enthielt die Kiste Hausrat, den mir meine Oma für meinen dortigen Haushalt geschenkt hatte. Heute hat sie als Truhe für Feuerholz neben dem Kachelofen im großen Zimmer einen Ehrenplatz.

Astrid 1976 mit Mitschülerinnen und Mitschülern und der Lehrerin Paula Knopf im Hof der Şcoala Generală Nr. 8

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