Die Natur ist, wie allen bekannt, einem ewigen Kreislauf unterlegen. Dieser wiederum bestimmt den Rhythmus der Jahreszeiten. Dem Frühling wird, wie auch allen bekannt, das Wiedererwachen der Natur und der Gefühlswelt zugeschrieben oder anders formuliert: Gefühlswelt trifft Natur - Natur trifft Gefühlswelt. Veranschaulicht wird dieses Zusammentreffen in Rumänien durch das „Märzchen verschenken“, ein Brauchtum , der sich dort großer Beliebtheit erfreut. Mit dem Verschenken werden Frühlingsgrüße- und wünsche sowie Glück, Freude, Liebe, aber auch Wertschätzung, (je danach wer/wem das Märzchen schenkt), übermittelt.
Im Kindesalter schenkte man Märzchen den Spielfreundinnen, der Mutter oder Großmutter. Sehr begehrt waren in dieser Altersphase Figuren aus der Tier- Märchen- oder Spielzeugwelt. Im Jugendalter wartete man voll Spannung auf das Märzchen des Freundes, viel mehr auf das zu vermittelnde Symbol: „Ist es ein Herzchen vom Liebsten, sind es Blumen- deren Sprache man auch zu deuten wusste - wie rote Rosen, Vergissmeinnicht? Oder sind es einfach nur Blumen verschiedener Arten, die als Frühlingsboten die betreffende Person erfreuen sollten.“ Daraufhin konnte man dann seine Schlussfolgerungen in „Punkto Liebe“ selbst ziehen.
Sehr beliebt waren auch Märzchen als Glücksbringer wie: Marienkäfer, Kleeblätter, Rauchfangkehrer etc. Sie wurden meistens an Verwandte und Bekannte verschenkt, um ihnen Freude und Glück zu übermitteln.
Märzchen mit wertvollen Steinen oder Märzchen aus Gold waren eher selten (finanzielle Angelegenheit) und für sehr nahestehende Personen gedacht, um zum Ausdruck zu bringen, wie wichtig mir die betreffende Person ist und wie sehr ich sie liebe. Diese konnte man auch als Brosche und Anhängsel tragen.
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„Rückblickend kommt es mir so vor, als wäre ich auch nach meinem Weggehen an die Stätten meiner Kindheit gebunden geblieben“ so der Anfang des Artikels „Die weiß-rote Nabelschnur.“ Wie viel Wahrheit doch in diesen Worten steckt!
Ich fühlte mich, nach dem Lesen dieser Zeilen, in meine Studentenzeit in Iassy und die meiner ersten Dienstjahre in Focsani, versetzt. An die Studentenzeit ranken sich so viele Ereignisse und Erlebnisse, die schönsten, unvergesslichen jedoch waren die, die Gefühlswelt betreffend: Die ersten Frühlingsblumen, die mir mein Freund täglich schenkte und später die Märzchen, (es blieb ja nicht nur bei einem), bereiteten mir viel Freude und ich fühlte, wie mich das Zusammentreffen von Natur und Gefühlswelt glücklich stimmten.
In Focsani, als Lehrerin an einem „Agro-Industriellen“ Gymnasium, erlebte ich den 1. März aus anderer Sichtweise. Es war die Zeit als die Schüler ihre Lehrer noch zu schätzen und ehren wussten. Als junge Hochschulabsolventin, fünf Jahre älter als meine Zwölfklässler, erfreute ich mich besonderer Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Das führte dazu, dass ich unzählige, vielleicht an die Hundert Märzchen bekommen habe. Die Schüler/innen bestanden darauf sie selber anzustecken. Da geschah es des Öfteren, dass ich gestochen wurde - aus Absicht oder nicht - das war damals unwichtig und für mich auch nicht schlimm. Am Ende des Unterrichts war meine Bluse von den Schultern bis zur Taille voll mit Märzchen. Bildlich sah ich lustig aus wie ein, mit Verdienstmedaillen ausgezeichneter Staatsmann oder Offizier höheren Ranges.
Zu Hause angekommen, musste ich sie alle losmachen. Da passierte es oft, dass sie sich verwickelt hatten. Um sie auseinander zu bringen, brauchte man viel Zeit und Geduld, bei dieser Menge, versteht sich! In den darauffolgenden Tagen war das Sortieren, nach Klassen, nach Motive und je nach Lust und Laune, auch nach Themen meine Hauptbeschäftigung - eine für mich angenehme, interessante Beschäftigung.
So kam es, dass ich nach zwei, in Focsani verbrachten Jahren, eine Menge Märzchen hatte. Nur leider weiß ich heutzutage nicht mehr, wo, wie und unter welchen Umständen diese verschwunden sind. Schade...
Was ich aber weiß, ist die Tatsache, dass diese Erinnerungen, die heute noch tief in meinem Herzen verankert sind, durch die „Weiß-rote Nabelschnur“ wachgerüttelt wurden. Dafür bin ich Dir, liebe Astrid, sehr dankbar.
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