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AutorenbildAstrid Ziegler

Die bayerische Prinzessin Gisela und Stephan von Ungarn

Dynastische Beziehungen um die Jahrtausendwende und ihre Rolle im neuen christlichen Königreich Ungarn:

Während des Vortrags im Heiligenhof


1. Warum Gisela von Bayern?


Ungarn war zur Zeit des Goldenen Freibriefs eine europäische Macht, kirchlich, dynastisch und wirtschaftlich mit Westeuropa verbunden.


So beginnt die Ankündigung zu dem Seminar 800 Jahre Goldener Freibrief. Das mittelalterliche Königreich Ungarn und die Siebenbürger Sachsen. Doch die in der Ankündigung beschriebene Integration Ungarns in den Kreis der westeuropäischen christlichen Reiche war im frühen Mittelalter noch nicht der Fall.

Mit meinem Beitrag über die Verbindung von Gisela von Bayern und Stephan von Ungarn möchte ich eine Zeit in den Blick nehmen, die über 200 Jahre vor dem Goldenen Freibrief lag, und in der durch die Gründung des christlichen Königreichs Ungarn die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden.


Die Ereignisse der ersten Jahrtausendwende im ostfränkischen Reich und vor allem die Herrschaft Kaiser Heinrichs II. gehörten zu einem der Forschungsschwerpunkte während meines Studiums der mittelalterlichen Geschichte an der LMU. bei Prof. Dr. Stefan Weinfurter. Der Titel meiner Magisterarbeit, die ich bei Prof. Dr. Stefan Weinfurter einreichte, lautete: Heinrich II. (1002-1024) und die Bischöfe - Inszenierungen und Interaktionen einer Handlungsgemeinschaft. Darin geht es um die große Bedeutung der Kirche des Reiches als Instrument der Herrschaftsausübung dieses mittelalterlichen Königs, vor allem um die Öffentlichkeitswirksamkeit der gemeinsamen Versammlungen.



In die gleiche Zeit fällt die Verbindung von Gisela, der Schwester von Heinrich II. mit Stephan, dem ungarischen Thronfolger. Also bot es sich für mich an, Nachforschungen über diese bayerische Prinzessin Gisela anzustellen und ihre Rolle in der bayerisch-ungarischen Geschichte.

Um zu verstehen, was für eine Zeitenwende sich in Ungarn an der Schwelle zum zweiten Jahrtausend vollzog, werfen wir auch einen Blick hundert Jahre zurück, auf das Auftauchen des nomadischen Reitervolkes der Magyaren in Europa.


Erst während der Recherche merkte ich, wie umfangreich die Materie ist und dass sie weit über simple dynastische Beziehungen hinausgeht. Es geht, wie im Verlauf des Vortrags gezeigt werden wird, um ein bedeutendes Netzwerk, das hinter dem zukünftigen Königspaar stand. Durch Gisela sollte es für die Entstehung des christlichen Königreichs Ungarn eine wichtige Rolle spielen.

Durch Königin Gisela setzte auch eine erste Einwanderungswelle aus Bayern, aber auch aus anderen Gegenden des Reiches nach Ungarn ein. Es soll untersucht werden, inwieweit sie kulturellen Austausch brachte und auch zur Konsolidierung des neuen Königreichs beitrug.



2. Die Verbindung von Gisela von Bayern mit dem magyarischen Thronfolger Stephan. Herkunft und unterschiedlicher kultureller Hintergrund


Die Jahre um die erste Jahrtausendwende fanden in vielen Reichen Europas entscheidende Umbrüche statt. Im heiligen römischen Reich folgte auf den kinderlos verstorbenen strahlenden jugendlichen Kaiser Otto III. sein, was Regierungsstil und Verhältnis zur Kirche betraf, völlig unterschiedlich agierende Vetter Heinrich II., der vormalige Herzog von Bayern. Im benachbarten Ungarn kann man die Jahre um 1000 n. Chr. betreffend gar von einer Zeitenwende sprechen.

In diese Jahre fällt eine besondere Hochzeit, die maßgeblich dazu beitragen sollte, dass sich die Stellung der Ungarn in Europa völlig verändern sollte.


Abbildung Chronica (Hungariae) Pictum (Seite 37) - Geburt von König Stephan. Rechts können wir in einen Raum eines Palastes blicken, im Hintergrund des Raumes ist ein mit Gold gewebter Vorhang zu sehen. Im Vordergrund hält Sarolt, Stephens Mutter, das nackte Baby auf ihrem Schoß, das Baby Stephen hat einen Heiligenschein um seinen Kopf. Sarolt trägt eine Krone auf dem Haupt, mit der rechten Hand nimmt sie eine goldene Krone vom Märtyrer Stephanus entgegen. Der Legende nach prophezeite der heilige Stephanus Sarolt, dass ein Sohn geboren werden würde, der König werden würde. Offensichtlich hat der Illustrator bewusst die beiden zeitlich weit auseinander liegenden Szenen in einem Bild dargestellt. Im Hintergrund rechts steht eine Gruppe adliger Frauen. Auf der linken Seite, in der Halle, die mit dem Raum verbunden ist, warten Männer und Frauen in Gruppen.


Stephan, der Sohn des Géza, des Großfürsten der Magyaren, wurde mit Gisela vermählt, der Schwester des Herzogs Heinrich von Bayern, der 1002 ostfränkischer König und 1014 römisch-deutscher Kaiser werden sollte. Es war eine Verbindung, wie sie noch nie zuvor dagewesen war. Zum ersten Mal sollte der Thronerbe des aufstrebenden magyarischen Reiches eine Braut aus einer der bedeutenden westeuropäischen Dynastien zur Frau nehmen.

Die Heirat muss so spektakulär gewesen sein, dass die wichtigsten Chronisten der Zeit übereinstimmend darüber berichteten. Ekkehard von Aura, Hermann von der Reichenau, Thietmar von Merseburg und noch einige mehr überliefern das Ereignis, dass die bayerische Prinzessin Gisela Stephan, dem Erben des Reiches der Ungarn der vor der vor seiner Taufe Vajk genannt wurde, zur Ehe versprochen worden war. Das Interesse an dieser Verbindung war so groß, weil sie in der Tat ein Ereignis mit einer immensen europäischen Tragweite war.


Die Partner in dieser Beziehung könnten nicht unterschiedlicher sein.

Gisela von Bayern, wie sie zurecht genannt wurde, war von so vornehmer Herkunft, wie sie im Reich der liudolfingischen Könige nur wenige andere aufzuweisen hatten. Sie gehörte zum sächsischen Herrscherhaus der Liudolfinger, das seit 919 in ununterbrochener Reihenfolge die römischen Könige, seit 948 fast durchgehend die bayerischen Herzöge stellte. Sie war nicht nur die Tochter des Herzogs von Bayern, sondern auch eine Großnichte des berühmten Kaisers Otto des Großen, der 955 die Ungarn in der Schlacht auf dem Lechfeld vernichtend geschlagen hatte. Über ihre burgundische Mutter war Gisela mit der Kaiserin Adelheid, der Frau Ottos des Großen verwandt, über eine Großtante mit den Kapetingern, die in Frankreich herrschten und über diverse Cousinen auch mit den Herzögen von Oberlothringen und Kärnten versippt. Selbstverständlich fehlte in ihrem genealogischen Umfeld auch die hohe Geistlichkeit nicht. Ein halbes Dutzend Bischöfe und nicht viel weniger Äbtissinnen stehen in enger Verwandtschaft zu ihr, darunter ihr eigener Bruder Bruno, Bischof von Augsburg und ihre Schwester Brigitte, Äbtissin von Andlau. Selbst Papst Gregor der V., der bis 999 den Heiligen Stuhl innehatte, war ein Cousin von ihr.

Wenn man sich als magyarischer Großfürst nicht nur den bayerischen Nachbarn, sondern auch den westeuropäischen Dynastien annähern und den katholischen Glauben in seinem Reich verbreiten wollte, gab es keine bessere Wahl als Gisela. Das Ehebündnis wurde schon 995 mit dem nach dem Tod des Vaters in Bayern an die Macht gekommenen neuen Herzog Heinrich, Giselas Bruder geplant:


Huius soror Gisela Stephano regi Ungariorum, cum se ad fidem Christi converterent, quasi vere iuxta nomen suum fidei obses in coniugium data.


Dessen, gemeint ist Herzog Heinrich IV von Bayern, der spätere Kaiser Heinrich II., "Schwester Gisela wurde dem König der Ungarn, Stephan, wenn er sich zum Christentum bekehre, gemäß ihres Namens wie als eine Bürgin des Glaubens zur Ehefrau gegeben". Hier macht der Chronist eine Anspielung auf den Namen Gisela, der das altdt. Wort "Gisel"= Geisel beinhaltet.

Das Eheversprechen wurde von ihrem Bruder gegeben und ist für das Jahr 995 überliefert, als die bayerische Prinzessin zehn Jahre alt war und ihr Bräutigam ca. 10 Jahre älter war.


Gisela hatte, wie es zu der Zeit für Fürstentöchter üblich war, eine Ausbildung in einem Regensburger Kloster genossen, war zusammen mit ihren Geschwistern wohl sogar von dem gelehrten Bischof Wolfgang von Regensburg unterrichtet worden. In seiner Heiligenvita gibt es Hinweise darauf.

Über das Jahr der Hochzeit haben wir keine genaue Angabe. Da sie aber noch in die Herzogszeit Heinrichs II. fiel und wohl noch zu Lebzeiten von Großfürst Geza gefeiert wurde, fand sie wahrscheinlich 996 oder 997 statt.


Welchen biografischen Hintergrund hatte Stefan, der ungarische Bräutigam der jugendlichen Gisela?

Er wurde als Sohn des aus der Árpádischen Dynastie stammenden Großfürsten der Magyaren Gézá noch als Vajk geboren, hatte vor seiner Taufe also einen heidnischen Namen und entstammte einer Familie, die sich erst seit kurzem dem Christentum zugewandt hatte. Die Taufe von Vater und Sohn, die wohl Bischof von Adalbert von Prag vollzogen worden war, entsprang einem politischen Kalkül. Der Großfürst war zu der Überzeugung gelangt, dass nur die Christianisierung seines Reiches ihm eine Zukunft unter den europäischen Mächten sichern würde. Eingekeilt zwischen den Machtbereichen des Papstes in Rom und dem der byzantinischen Kirche, entschied er sich für die westliche Einflusssphäre und erschien schon 973 auf einem Hoftag Ottos des Großen in Quedlinburg um Kontakte zu knüpfen.

Stephan, der wohl 975 oder einige Jahre später in Esztergom geboren worden war, hatte schon als Kind eine christliche Erziehung bekommen und er gilt im Gegensatz zu seinem Vater Géza als wahrhaft gläubig. Stephans Mutter Sárolt, die aus dem magyarischen Stamm der Gyulas stammte, der im Karpatenbogen Besitzungen hatte, war ebenfalls schon getauft.


Doch selbst unter christlichen Vorzeichen und trotz des heiligen Namensvetters Stephan haftete dem magyarischen Thronerben Vajk wohl das Image eines Neulings, gar Emporkömmlings im Kreis der europäischen Dynastien an.

Die Magyaren galten vielen Zeitgenossen aufgrund ihrer fremdartigen Sprache und schamanischen Riten und vor allem wegen ihrer besonderen Kampfkunst immer noch als ein barbarisch wilder Haufen, faszinierend und erschreckend zugleich.

Um zu verstehen, warum es so war, werfen wir einen Blick auf deren knapp 100 Jahre zurückreichende Geschichte in Europa.



3. Rückblick auf die ungarisch-deutsche Geschichte bis Ende des Jahrtausends

  • Einwanderung der magyarischen Reiterstämme in den Karpatenbogen und die pannonische Ebene

  • Ungarn zwischen Rom und Ostrom, den westl. Mächten und Byzanz

  • Überfälle der Magyaren in ganz Europa

  • Wende durch die Schlacht auf dem Lechfeld

  • Ende der Expansion und Christianisierung

Zur Zeit der Verbindung des ungleichen Paares Gisela und Stephan blickten Bayern und Ungarn schon auf eine fast hundertjährige Geschichte, die hauptsächlich aus Konfrontation bestand .

Die zum ugrischen Zweig der finnougrischen Sprachfamilie zählenden magyarischen Stämme hatten ihre Herkunftsgebiete in der Gegend nordöstlich des Karpatenbogens, das in einer zeitgenössischen byzantinischen Quelle auf altungarisch Etelköz genannt wird, was so viel wie Zwischenstromland bedeutet, verlassen. Wo dieses Gebiet lag, wird bei Konstantinos Porphyrogenitus auch genau umrissen, es ist von den Flüssen Sereth-Pruth-Dnjestr-Bug-Dnjepr begrenzt.

Von dort aus erfolgten immer wieder Angriffe der verschiedenen Stämme über die Karpaten auf das karolingische Pannonien. Die Stammesführer Arpad und sein Sohn Levente verbündeten sich mit Byzanz unter Kaiser Leo dem Weisen, gegen die Bulgaren und fügten dem Bulgaren-Khan Simeon eine empfindliche Niederlage zu. Dieser gewann die im Rücken der Magyaren aufgetauchten türkischen Petschenegen als Bundesgenossen, wodurch die Ungarn zwischen zwei Fronten gerieten und nicht mehr nach Etelköz zurückkehren konnten.


Abbildung

Die sieben Häuptlinge der Ungarn tragen Rüstungen und einen Fürstenhut. In der Mitte steht Árpád, Großfürst der Ungarn, mit Schwert und Turul-Schild.


So wurden die magyarischen Stämme im Karpatenbogen sesshaft, was in der Forschung als Landnahme bezeichnet wird. Faktisch kam es einer Eroberung gleich.

Die Ereignisgeschichte der Landnahme findet in unterschiedlichen Quellen (span-arabisch, persisch, lateinisch und byzantinisch) skizzenhaft Niederschlag. Die ausführliche Gesta Hungarorum eines anonymen Verfassers ist 300 Jahre später erst im 13. Jahrhundert entstanden und dadurch nur bedingt glaubwürdig, da sie oft Projektionen späterer Zeit enthält.


Es kam zu einer zweiten Sesshaftwerdung der Ungarn durch ein Militärbündnis des karolingischen Kaisers Arnulf mit einem Teil der Magyaren gegen König Berengar I. von Italien, das mit dem Sieg der fränkisch-ungarischen Verbündeten mit der Schlacht an der Brenta 899 endete. In dessen Folge kam es nach dem unerwarteten Tod des Kaisers zur Besetzung Pannoniens, was als zweiter Abschnitt der Landnahme gesehen werden kann. In einer Eintragung kurze Zeit später in den Fuldaer Annalen kehren die Ungarn nach Überfällen auf benachbarte Gebiete nach Pannonien schon nach ad sua, also zu sich, in ihr Eigen zurück. Im Herbst 900 errichteten die Bayern schon die Ennsburg gegen die kriegerischen Nachbarn, die fortan an beiden Donauufern ins Herzogtum vordringen sollten.



Doch nicht nur Bayern wird überfallen, ungarischen Stämme suchen bis 955 auch Gebiete in Italien, Thüringen, Franken, Sachsen, Burgund heim, nehmen viele westeuropäische Städte ein, die sie plündern und brandschatzen. Den zerstörerischen Erfolgen der wikingischen Kriegszügen nicht unähnlich, ziehen die Magyaren eine Spur der Verwüstung sogar bis Bremen und Dänemark, bis Aquitanien zum Atlantik, nach Spanien bis Andalusien in Italien bis Otranto. Fünf Jahrzehnte lang zittern die Völker Europas vor ihnen jenseits von Alpen und Pyrenäen, des Rheins, der Seine, des Ebro und der Donau.


An einem anderen Fluss sollte schließlich diesem Terror ein Ende gesetzt werden, nämlich am Lech nahe Augsburg. Ende 954 gelang es Kaiser Otto dem Großen durch die Unterwerfung seines aufständischen Sohnes Liudolf innere Unruhen im Ostfrankenreich zu beenden und seine Macht zu bündeln. Das war höchste Zeit, denn die Ungarn rüsteten in ganz großem Stil zum Krieg. Nachdem ungarische Gesandte im Frühjahr des Jahres 955 die Stärke des Reiches auf einem Hoftag einschätzten, überschritt ein riesiges Heer von Kriegern die Grenze.

Sie besetzten und verwüsteten das Bayernland vom Donaufluss der zum Gebirge gehörte. Als sie den Lech überschritten und Alemannien besetzten, brannten sie die Kirchen der Heiligen Afra nieder, plünderten die ganze Provinz… Die Stadt Augsburg aber, die damals von niedrigen turmlosen Mauern umgeben, in sich selbst nicht fest war, belagerten sie.

(Vita des Bischofs Ullrichs)


Diesmal handelte es sich nicht um einen schnellen Überfall mit Plünderung der Ungarn, sondern um den Versuch, sich die Herrschaft über Bayern oder Schwaben zu sichern. Die Ungarn waren diesmal gekommen, um zu bleiben, und das machte die Auseinandersetzung so bedeutsam. Obwohl die Stadt schlecht befestigt war, schlugen die Augsburger zusammen mit ihrem Bischof Ulrich, der selbst bei der Verteidigung beteiligt war, die Angreifer zurück.

Unterdessen eilte ein ostfränkisches Heer unter dem Oberbefehl von Kaiser Otto dem Großen dem Bischofssitz zu Hilfe. Mit vereinten Truppen aus Bayern, Böhmen, Schwaben und Franken, stellte es am 10. August die Ungarn in einer Feldschlacht.

In einer ausgeklügelten Taktik forderten leicht bewaffnete Krieger die Ungarn heraus, die dann von den gut ausgerüsteten und vorbereiteten Panzerreitern geschlagen wurden. Es war ein Sieg der gepanzerten Ritter über die leichte Reiterei der Ungarn, deren traditionelle Waffe der Kompositbogen war. Angeblich gingen die Bogen im einsetzenden Starkregen im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Leim.


Am Ende der Schlacht zogen sich die Ungarn mit immerhin noch 20.000 Mann Richtung Augsburg zurück und wollten ans andere Ufer des Lechs übersetzen. Die siegreichen Ostfranken aber verfolgten das sich auflösende, abziehende Heer, das Schwierigkeiten hatte, den durch die starken Regenfälle Hochwasser führenden Fluss zu überqueren. Viele Ungarn ertranken so unter Druck gesetzt in den Fluten des Lechs, auch den Kriegern, die entkommen konnten, wurde aufgelauert und sie wurden restlos vernichtet. Den Siegern der Schlacht gelang es, die ungarischen Anführer mit Namen Bulcsu, Lehel und Sur gefangen zu nehmen. Der bayerische Herzog ließ sie in Regensburg öffentlich hängen.


Der Schock saß tief und bewirkte eine Veränderung der Machtverhältnisse. Durch den für sie vernichtenden Ausgang der Schlacht auf dem Lechfeld war die Expansion der Ungarn nach Westen endgültig gestoppt worden. Sie zogen sich in die pannonische Ebene zurück. Zur militärischen Katastrophe kamen tiefgreifende Umbrüche um das Zentrum der ungarischen Stämme im Karpatenbecken. Im Osten, Süden und Norden um den ungarischen Herrschaftsraum entstanden feste Staatswesen, was auch die Ungarn zur Umorganisation zwang. So wurde schließlich aus dem nomadischen Stammesverband ein sesshaftes Agrar Volk.

Großfürst Geza bat Otto den Großen um Missionare, eine neue Ära wurde durch neu entstehende christliche Kirchen in Ungarn im wahrsten Sinn des Wortes eingeläutet.



4. Weg zur Krönung Stephans und Gründung des christlichen Königreichs Ungarn 1000/1001


Nach der Hochzeit Stephans mit Gisela, die noch in Bayern, in Scheyern stattgefunden hatte, ließ sich das Paar in Ungarn in Gran nieder. Mit Gisela kamen zahlreiche Bayern ins Land. Bayerische Grafensöhne wurden die Ahnherren von ungarischen Adelshäusern, Münzmeister brachten als Vorbild die Regensburger Münze, die ersten Benediktiner gründeten in Bél ihr Kloster. Es kamen Ritter, Handwerker und Siedler. Obwohl die meisten namentlich nicht bekannt sind, ist ihr Wirken in Ungarn klar zu erkennen. So ist es wohl auch auf bayerische Kanzleibeamte zurückzuführen, dass das Recht der Ungarn sich teilweise wörtlich an die Lex Baiuvariorum anlehnte, das ungarische Urkundenformular an das bayerische angeglichen wurde.

Bayerische Klosterfrauen brachten die in Regensburger Klöster entwickelte Paramentenstickerei nach Ungarn. Man kann also feststellen, dass Gisela ein ganzes westliches, christlich geprägtes Netzwerk nach Ungarn mitbrachte, das wichtige kulturelle Impulse gab.


Abbildung König Sankt Stephan, der junge Kriegerkönig, steht auf felsigem Boden. Seine Rüstung ist mit Árpád-Streifen bedeckt, einem rot-weiß gestreiften Kleid. Auf seinem Kopf und um den Heiligenschein herum trägt er eine Königskrone. Der heilige Stephanus hält zu seiner Rechten eine Fahne und zu seiner Linken einen Schild, beide haben den Dreifuß mit dem Doppelkreuzwappen, das den apostolischen König symbolisiert.


Als Stephan im Jahr 997 nach dem Tod seines Vaters Großfürst wurde, war seine Herrschaft alles andere als unumstritten. Als erstes musste er sich gegen ein Mitglied seiner eigenen Sippschaft durchsetzen, gegen seinen Onkel Koppány, der als Stammesältester Anspruch auf den Thron erhob. Auch dabei half die Anbindung an das Christentum und die bayerischen Nachbarn.

Es ist nämlich überliefert, dass eine Zeremonie nach westlichem Brauch stattfand, als Stephan seine Streitkräfte in Gran sammelte, um gegen seinen heidnischen Onkel in den Kampf zu ziehen. Der junge Großfürst wurde in der Kirche mit einem vorher geweihten Schwert umgürtet, erflehte die Hilfe der Gottesmutter Maria und zog mit den Fahnen des Heiligen Martin, der aus Pannonien stammte, in den Kampf. So etwas hatte es bei den Ungarn noch nie gegeben. Neben diesem religiös-moralischen Beistand des Christengotts und der Heiligen sicherten gepanzerte Ritter nach deutschem Vorbild die militärische Überlegenheit. Als Befehlshaber im Kampf gegen die Aufständischen ist ein Ritter "Vecelin" namentlich bekannt. Er stammte aus Bayern. Zwei Kampfgenossen, die "Hont" und "Pazman" hießen, wird eine Herkunft aus Schwaben nachgesagt. Panzerreiter aus dem Gefolge Giselas sicherten schließlich neben einheimischen Anhängern den Sieg König Stephans, so dass Koppany in der Schlacht bei Veszprém unterlag und noch auf dem Schlachtfeld hingerichtet wurde.


Nun war für Stephan der Weg frei, ein christliches Königreich nach dem Vorbild des Ostfrankenreichs zu gründen. Um dies in die Wege zu leiten, schickte er einen Abt Astric/Athanasius der aus dem Umfeld Adalberts von Prag stammte, nach Rom zu Papst Silvester II., bei dem sich zu der Zeit auch der römisch-deutsche Kaiser Otto III. aufhielt.

Silvester sandte für die geplante Krönung eine goldene Krone und verlieh Stephan den Titel Apostolischer König, Kaiser Otto III. schickte eine Lanze als weiteres Geschenk mit.

Damit hatten die höchste geistliche und die höchste weltliche Gewalt die bedeutendsten Krönungsinsignien zur Verfügung gestellt, so dass Stephan Ende des Jahres 1000 am Weihnachtstag zum ersten christlichen König Ungarns in Gran gekrönt werden konnte.

Im Jahr darauf starb Otto III. in Italien überraschend und ohne Erben. Im Kampf um die Königsherrschaft konnte sich der Herzog von Bayern durchsetzen und bestieg als König Heinrich II. den Thron. Damit avancierte Stephan von Ungarn zum Schwager des ostfränkischen Königs und zukünftigen römisch-deutschen Kaisers. Heinrich II. sollte seine Macht im Reich stärker als jeder seiner Vorgänger im Verbund mit den Bischöfen festigen und ausbauen. Das Herrschen über die Kirche des Reiches erfuhr in seiner Regierungszeit die stärkste Ausprägung. Für ein neues aufstrebendes Königtum wie das Stephans von Ungarn hielt es viele Lehren bereit.



5. Aufbau der Kirche Ungarns und Bistumsgründungen

Die Rolle Heinrich II. durch das Vorbild der Kirche im Ostfrankenreich

Bedeutung von öffentlichen Inszenierungen


Abbildung

Eine zeitgenössische Miniatur aus einem Seeoner Pontifikale zeigt Heinrich vor goldenem Hintergrund beim Betreten einer Kirche. Heinrich überragt die beiden Bischöfe an seiner Seite deutlich und trägt eine prächtige Krone mit edelsteinbesetzten Pendilien im byzantinischen Stil. Die Bischöfe stützen seine Arme, als wäre er nicht nur Kaiser, sondern auch ein Moses, dem sie wie Aaron und Hur helfen, die zum Gebet erhobenen Arme hochzuhalten (Bamberg, Staatsbibliothek, Msc.Lit.53, fol. 2v)


Schon seine Thronbesteigung hatte König Heinrich II. der Unterstützung nicht nur des bayerischen Adels, sondern auch der mächtigsten Bischöfe zu verdanken. Unter ihm wurde die schon von seinen Vorgängern vollzogene Theokratisierung des Königtums, das heißt die von Gottes Gnaden gegebene Königsherrschaft aufgenommen und perfektioniert. Damit wurde die göttliche Autorität für weltliche monarchische Zwecke eingesetzt. Es entstand eine neuartige Verbindung von König und Bischöfen, die sich im Bereich der Herrschaftslegitimation, der Herrschaftspraxis und der Herrschaftsrepräsentation spiegelte. So wurden durch Heinrich Bischofskirchen gestärkt, aber auch zu Reichsverwaltung, Reichssicherung und Königsgastung herangezogen. Damit sollte die Königliche Autorität über das ganze Reich ausgedehnt, die einzelnen Reichsteile neu verknüpft werden, wobei zugleich eine gesteigerte christliche Herrscheridee in die Verfassungswirklichkeit umgesetzt wurde. In meiner Magisterarbeit mit dem Titel: Heinrich II. und die Bischöfe-Inszenierungen und Interaktionen einer Handlungsgemeinschaft untersuchte ich, wie im Rahmen der öffentlichen Zusammenkünfte von König und Bischöfen, z.B. bei Synoden, oder Kirchweihen, deren Zusammenwirken in Szene gesetzt wurde


Die sakralen Handlungen in der Kirche von Gran vor der Schlacht gegen Koppány von Somogy, die Weihe des Schwertes, das öffentlich geleistete Gelübde vor Gott und die Bereitstellung der Fahnen des Heiligen Martins, die mit in den Kampf getragen wurden, war sicher auch eine beeindruckende und von Erfolg gekrönte öffentliche Inszenierung. In einer Zeit in der ein Großteil der Bevölkerung nicht lesen und schreiben konnte, stifteten bildhafte Handlungen und religiöse Symbole Einheit und versicherten den göttlichen Beistand. Der Erfolg gab in diesem Fall der Wahl der Mittel recht und Stephan siegte.


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Der kniende König Stephanus und Königin Gisela halten die verkleinerte Kopie der Kirche Peter und Paul von Óbuda als Symbol der Kirchengründung. Der felsige Boden ist mit Bäumen und Blumen geschmückt.


Auch beim Aufbau der Kirche Ungarns hatten Stephan und Gisela wohl durch die Reichskirche Heinrichs II. ein Vorbild vor Augen, das umso stärker wirkte, als die Christianisierung Ungarns erst dabei war, sich zu vollziehen.

Das pannonische Land hatte schon in früheren Jahrzehnten hinsichtlich seiner Missionierung Begehrlichkeiten bei bayerischen Bischöfen geweckt. Vor allem Bischof Pilgrim von Passau, dessen Kirche schon Herrin des ganzen österreichischen Donautals war, wendete seinen Blick weit über die babenbergische Ostmark hinaus in die ungarische Ebene, wo sich für Passau ein gewaltiges Missionsfeld aufzutun schien. Zur Erlangung dieses Ziels ging Pilgrim sogar so weit Urkunden zu fälschen, die sogenannten "Pilgrimschen Fälschungen", die den Nachweis erbringen sollten, dass die Diözese Passau die Erbin des untergegangenen Römerbistums Lorch sei und daher dessen Stellung beanspruchen könne. In einem gefälschten Papstprivileg ließ sich Pilgrim sogar zum Erzbischof von Lorch ernennen. Den bereits in Ungarn tätigen Wolfgang von Regensburg berief er ab und ersetzte ihn durch vertraute Missionare des Passauer Bischofsstuhls. Das rivalisierende Bistum Salzburg beteiligte sich mit einer eigenen auch in diese Richtung zielenden Fälschungsaktion. Erfolg war allerdings beiden Bistümern nicht beschieden.


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Géza, Großfürst der Ungarn, sitzt auf einem grünen Marmorthron, in den Händen hält er Reichsapfel und Zepter. Auf seinem Kopf trägt er den roten Hut der Anführer.


Denn schon Großfürst Geza hatte erkannt, wie wichtig es war, die Hoheit über die Bistumsgründungen in der Hand zu behalten. Im Interesse der Konsolidierung seines eigenen Reiches behielt er sich selbst die Gestaltung der Mission und Organisation der jungen ungarischen Kirche vor. Er ging dabei sehr geschickt vor. Wohl hatte die erste Kirche in seiner Hauptburg Gran das Stephanspatrozinium des Passauer Doms und sein Sohn wurde auf den Namen Stephan getauft. Doch das war reine Symbolik, wirkliche Macht räumte er landesfremden Bischöfen nicht ein.


Stephan nahm bald nach der Krönung Verbindung zu seinem Schwager Heinrich II. auf, der schon im Sommer 1002 Urkundenschreiber seiner Kanzlei nach Ungarn schickte, um die wichtigsten Rechtsakte des neuen Königreichs festzuhalten. Stephan ordnete die Struktur seines Königreichs neu indem er die alten Stammesbesitzungen durch 40 Gespanschaften ersetzte. Deren Zentrum stellte eine befestigte Burg dar, in der der Gespan (ispán) als Regionalverwalter und Heerführer dem König unterstellt war.

Unter der Herrschaft Stephans entfaltete sich auch eine rege Missionstätigkeit. Wie sein Vater Géza beanspruchte er die Hoheit über die Angelegenheiten der Bistümer und der christlichen Mission selbst. Dabei baute er auf die Unterstützung von Experten, die aus dem benachbarten römisch-deutschen Reich nach Ungarn geholt wurden.


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8 Bistumsgründungen von Stephan (Schwarze Pfeile rechts auf der Karte)


Dabei ging Stephan erstaunlich effizient vor. Während Heinrich II. in seinem Reich nur das Bistum Bamberg gründete und Merseburg wiederherstellte, fallen in Stephans Regierungszeit zahlreiche Bistumsgründungen. In einem ersten Abschnitt bis 1003 gründete er die Kirchen von Gran, Veszprém, Raab, und ein Bistum im Karpatenbogen. In einer zweiten bis 1009 andauernden Phase kamen die Diözesen Erlau, Pecs/Fünfkirchen und Kalocsa dazu.

Das letzte nachweislich in König Stephans Herrschaftszeit gegründete Bistum war Csanád im Jahr 1028. Anhand dieser Bistumsgründung ist gut zu erkennen, wie Stephan Landesherrschaft auf kirchlichem Weg sicherte. Nachdem ein örtlicher Stammesfürst namens Ajtony, deutsch Achtwin im Maroschtal Zoll auf das über den Fluss transportierte Salz aus den Karpaten erheben wollte, bekämpfte ihn König Stephan mit seinem Heer in dem sich auch der Heilige Gerhard, ungarisch Gellért, befand. Gerhard war ein aus Venedig stammender Benediktinermöch, der als Pilger auf dem Weg ins Heilige Land vom Abt von Pannonhalma nach Ungarn geholt wurde. Seine Predigten haben Stephan offenbar so beeindruckt, dass er ihn sieben Jahre lang zum Lehrer des Thronfolgers Emmerich/Imre machte. Gerhard kämpfte im Feldzug gegen Achtwin so tapfer, dass er nach dem Sieg des Königs über Achtwin 1028 mit dessen Ländereien im Maroschgebiet belohnt wurde. Im Jahr 1030 wurde die Maroschburg Sitz des neu gegründeten Bistums, das fortan Csanád genannt wurde. Dort erhob Stephan Gerhard zum ersten Bischof von Csanád, das er auch mit Geld großzügig ausstattete.



6. Stephans Vermächtnis an seinen Sohn Emmerich


Stephan und Gisela hatten einige Kinder, von denen nur die Söhne Otto und Emmerich das Kleinkindalter überlebten. Nach dem Tod von Prinz Otto blieb als einziger Sohn Emmerich für die Thronfolge. Entsprechend sorgfältig wurde er auf seine Rolle vorbereitet. Von König Stephan sind Mahnschreiben an seinen Sohn erhalten, in denen er ihm Ratschläge für seine zukünftige Regierung erteilt.

Im Hinblick auf die junge ungarische Kirche legt sein Vater ihm Folgendes ans Herz:

Mein Sohn, wenn du der Königskrone Ehre machen willst, befehle und rate ich dir, den katholischen und apostolischen Glauben gewissenhaft und sorgsam zu wahren, damit du allen, die Gott dir als Untertanen anvertraut hat, ein gutes Beispiel gibst und dich alle Männer der Kirche mit Recht einen wirklichen Mann des christlichen Bekenntnisses nennen können. Denn ohne dieses Bekenntnis, dessen bin ich sicher, bist du kein Christ und kein Sohn der Kirche. Im Königspalast hat die Kirche nach dem Glauben den zweiten Rang; denn sie wurde von Christus, unserem Haupt, gegründet, dann durch seine Apostel und die heiligen Väter weiter verbreitet, gefestigt und über den ganzen Erdkreis ausgedehnt. Obgleich sie immer neue Nachkommen hervorbringt, ist sie doch an manchen Orten schon eine alte Kirche. Doch in unserem Reich, lieber Sohn, gilt sie immer noch als ganz jung und neu. Sie braucht darum eine besonders kluge und umsichtige Betreuung. Das Gute, das Gott uns in seiner Barmherzigkeit ohne unser Verdienst gewährt hat, darfst du nicht durch Trägheit, Unlust und Nachlässigkeit zerstören.


Was die erste Einwanderungswelle von Siedlern und Missionaren aus Teilen des oströmischen Reiches und anderen Gebieten Europas betrifft, rät Stephan seinem Sohn zur Gastfreundlichkeit. Die Einwanderer, die der König anspricht, kommen als Gäste und Fremde. Sie sollen wohlwollend aufgenommen werden, um sich in Ungarn niederzulassen. König Stephan erkennt, welchen Gewinn Einwanderung einer Gesellschaft bringen kann.


Es bringt Nutzen, Gäste und Fremde [aufzunehmen]. … Wie nämlich [einst] aus den verschiedenen Teilen der [römischen] Provinzen die Gäste kommen, so bringen sie unterschiedliche Sprachen und Gewohnheiten, unterschiedliche Lehren und Waffen mit sich, die alle den Königshof zieren und groß machen, die auswärtigen (Völker) in ihrem Hochmut aber in Schrecken versetzen. Denn ein Reich, das nur eine Sprache, eine Sitte kennt, ist schwach und kraftlos. Darum weise ich dich, mein Sohn, an, für sie mit gutem Willen zu sorgen und sie in Ehren zu halten, damit sie lieber bei dir verweilen, als dass sie sich anderswo niederlassen.


Die treue Pflege des Gebets ist für das Wohl des Königs ausschlaggebend. … [Bete,] dass Gott so gnädig sei, alle Laster von dir zu nehmen, so dass du von allen unbesiegbarster König genannt wirst. Bete auch, dass er Untätigkeit und Trägheit von dir vertreibe und er dir alle noch fehlenden Tugenden zuteile, mit denen du die sichtbaren und unsichtbaren Feinde besiegen kannst, damit du sicher und frei von allem Ansturm der Gegner mit all deinen Untertanen deinen Lebenslauf in Frieden beenden kannst.


Quelle: Stephan von Ungarn: Monita ad filium, c. 1.2.10. In: Patrologia Latina 151, Sp. 1235 - 1244; eigene Übersetzung



7. Gefahr für das christliche Königreich Stephans und Giselas durch tragische familiäre Wendungen


  • Tod des Thronfolgers

  • Thronwirren und Rettung Giselas

  • Lebensabend als Äbtissin in Bayern


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Die Beerdigung von Prinz Emeric und die Blendung von Vazul

Im Vordergrund legen zwei Männer den Körper des als Prinz verkleideten Emeric in einen Marmorsarg. König Stephan, der vor dem Sarg steht, legt seine rechte Hand auf sein Gesicht und drückt mit dieser bedauernden Geste seinen Schmerz aus. Während Königin Gisela die Szene beobachtet, die sich im Hintergrund abspielt, wo der gefesselte Vazul in den Bergen liegt, auf einem felsigen Gelände, das im Hintergrund mit einer Burg geschmückt ist. Vazuls Hand wird von einem auf seinem Bein sitzenden Soldaten gehalten und Sebös, der Abgesandte von Königin Gisela, streckt ihm die Augen aus. Auf der linken Seite reiten drei vermummte Gestalten: die Abgesandten von König Stephan, die kommen, um Vazul zu befreien.


Das Leben des Thronfolgers Emmerich/Imre endete jedoch noch zu Lebzeiten Stephans im Jahr 1031 tragisch in Folge eines Jagdunfalls. Die Begründung einer arpadischen Dynastie mit der liudolfingischen Stammutter Gisela war damit gescheitert, was für das Königspaar nicht nur ein familiäres Unglück dargestellt haben muss, sondern auch die Existenz des jungen christlichen ungarischen Königtums gefährdete.

Es spricht viel für Stephan und ist vielleicht ein Beweis dafür, dass ihn an Gisela tiefe Gefühle banden, dass er bis zuletzt zu seiner Gemahlin hielt, denn politisch hatte sie nach dem Tod von Heinrich II. an Bedeutung verloren. Sie war nicht mehr Mutter eines Kronprinzen oder einer zukünftigen Königin und auch mit den bayerischen Herzögen verband sie nichts mehr.


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Die Beerdigung des Heiligen Stephanus. Zwei junge Männer legen den Leichnam des Königs in einen Marmorsarg. Vier Bischöfe führen die Zeremonie durch. Am Fuße des Sarges steht die betende Königin Gisela. Von rechts einige Trauernde.


König Stephan überlebte seinen Sohn um wenige Jahre, starb im Jahr 1038 und wurde in der Kirche von Székesfehérvár beigesetzt.

Nach seinem Tod versank das Land jahrzehntelang in Thronstreitigkeiten und es drohten heidnische Angriffe auf das Christianisierungswerk von Stephan und Gisela.


Gisela war durch den Verlust von Sohn und Mann in Ungarn isoliert und wurde von den Prätendenten im Thronstreit verfolgt. Die Fäden ihres Netzwerks nach Bayern und ins Reich waren nach dem Tod ihres Bruders Kaiser Heinrichs II. schon 1024 brüchig geworden. Mit dem letzten Liudolfinger erlosch im Reich seine Dynastie. Die machtvolle Stellung des Kaisers hatte sowohl Ungarn in Bayern als auch Bayern und dem Reich in Ungarn Gewicht verschafft.

Was Gisela blieb, waren ihre Persönlichkeit und ihre Stellung als Witwe des Gründers des Königreichs Ungarn. Indem sie für ihre Witwenausstattung kämpfte, bewies sie selbst nach Stephans Tod Autorität und Entschlossenheit. Gleichwohl wurden ihr diese Eigenschaften in den späteren ungarischen Quellen sehr negativ ausgelegt. In mancher Überlieferung wird Königin Gisela richtiggehend verteufelt. Dass diese diffamierenden Quellen aber nicht glaubhaft sind, sieht man daran, dass sie Königin Gisela im Zusammenhang mit dem heidnischen Aufstand nach dem Tod Stephans ums Leben kommen lassen. Doch dem war nicht so und Gisela überlebte die Anfeindungen.


Als Bindeglied ins Reich blieb ihr Bruder Bruno als Bischof von Augsburg, der noch zu den Nachfolgern Heinrichs II., Konrad II. und dessen Sohn Heinrich III. Kontakte herstellte.

Dieser Heinrich III. marschierte dann auch in Ungarn ein, entschied Grenzstreitigkeiten zu seinem Reich und nahm bei dieser Gelegenheit Gisela 1045 mit zurück nach Bayern. Die bayerische Herzogstochter, Kaiserschwester und Königin von Ungarn, verbrachte laut einer von Aventinus zitierten heute verlorenen Quelle ihren letzten Lebensabschnitt als Äbtissin in Kloster Niedernburg bei Passau. Dort befindet sich auch ein Grab, das durchaus Giselas Grablege sein könnte.


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Das Grab der Seligen Gisela von Bayern, im Kloster Niedernburg

Gisela wird als Selige verehrt (Fest am 7. Mai und 1. Februar). Ihr Grab ist Ziel zahlreicher Pilger aus Ungarn. Seit 1995 besitzt auch die Kathedrale von Veszprém Reliquien von ihr. In Wien-Penzing (14. Bezirk) ist die Giselagasse nach ihr benannt. Am 27. September 2013 wurde das Musical „Gisela & Stephan“ in Pfaffenhofen an der Ilm welturaufgeführt. 2016 gab es weitere Aufführungen in der ungarischen Stadt Veszprém sowie in Scheyern und Passau.


Es ist gut denkbar, dass Heinrich III. ein Hilferuf seiner entfernten Verwandten Gisela aus Ungarn erreicht hatte und dass er für sie als Refugium Niedernburg, das er vor 1045 oft besucht hatte, wählte. Giselas kaiserlicher Bruder hatte das Kloster einst reich ausgestattet. Und schließlich entsprach es der dynastischen Tradition der Frauen in Giselas Familie, sich als Witwen für die letzten Jahre in ein Stift zurückzuziehen, ihre Mutter und Großmutter hatten es nicht anders gemacht. Schriftliche Zeugnisse aus Niedernburg gibt es zwar nicht, denn mehrere Brände haben die Überlieferung des Klosters weitgehend vernichtet.

So war die Frau, die vier Jahrzehnte Frieden zwischen zwei 100 Jahre verfeindeten Völker gestiftet hat, die durch das hinter ihr stehende Netzwerk eine treibende Kraft der Christianisierung und einer ersten deutschsprachigen Siedlungswelle nach Ungarn gewesen ist, nach Bayern zurückgekehrt.


8. Schlussbemerkung: Gisela, Ungarn und Europa


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Statue von Stephan und Gisela in Vezsprém

© wikicommons - Krystian Cieślik, CC BY-SA 3.0


Das Leben des ersten christlichen Königspaares von Ungarn Gisela und Stephan verlief so turbulent, dass es als mitreißendes Historiendrama geradezu filmreif wäre.

Im Mittelalter sorgte die Heiligsprechung der beiden dafür, dass sie in der Erinnerungskultur bis heute verankert blieben.

In der Geschichte Ungarns ist nämlich auch die bayerische Gisela eine fixe Größe. Als Statue verewigt wurde sie unter anderem in Szeged, Nagymaros und nicht zuletzt in Veszprém, das sich 2023 „Europäische Kulturhauptstadt“ nennen darf oder nennen durfte, muss man inzwischen ja schon sagen. Dort, wo Gisela die Domkirche gestiftet hat und wo sie sogar residiert haben soll, wird das Andenken an die Königin besonders hoch gehalten. Alljährlich wird ein Kulturfestival organisiert, das Giselas Namen trägt. Auch die Eröffnungszeremonie für die Kulturhauptstadt Veszprém stand klar im Zeichen der Gisela, die als paneuropäische Integrationsfigur zelebriert wurde.

In diesem Sinne ist es wichtig, sich an eine Zeit zu erinnern, in der Ungarn auch und vor allem dank einer Prinzessin aus Bayern den Anschluss an Europa fand, ohne seine eigene Identität aufzugeben.

Grafik: Hans Rothgerber


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