23. September - 8. Oktober im VolksbankHaus Pforzheim
Zum ersten Mal kam ich in Berührung mit den Bildern von Walter Andreas Kirchner, als ich auf der Suche nach einer Illustration für meinen Artikel zum Banater Dreikönigsbrauch Ich wünsch, ich wünsch, ich weiß nicht was… war. Mitte der 70er Jahre sind Kirchners außergewöhnliche Holzschnitte mit Motiven zu den Banater Bräuchen und Sprichwörtern entstanden. Als ich um Erlaubnis bat, die passende Grafik für meinen Text zu verwenden, wurde mir diese nicht nur umgehend erteilt, sondern es ergab sich bald ein sehr herzlicher persönlicher Kontakt. So hatte ich das Glück, zuerst über die Kataloge, dann bei einer Führung durch Atelier und Skulpturengarten, allmählich das atemberaubende Werk dieses vielseitigen Künstlers kennenzulernen.
Walter Andreas Kirchner ist von langjährigen Weggefährten gebührend gewürdigt worden. Wenn man einmal die Farbexplosionen der Bilder und die klassisch anmutenden, vollendet schönen Plastiken erlebt hat, lassen sie einen nicht mehr los.
Ich möchte mit Ihnen in diesem Beitrag einige Highlights der Retrospektivausstellung teilen.
Der Einladung zur Vernissage am 23. September im VolksbankHaus in Pforzheim sind zahlreiche Besucher gefolgt. In der hohen Halle des Atriums, einer idealen Räumlichkeit für Kunstwerke, bot sich auch die Möglichkeit Menschenmenge und Rednerpult, rechts im Bild, aus der Vogelperspektive aufzunehmen.
Die Laudatio hielt Hans Hausenstein Burger, der sowohl als Künstler als auch durch die gemeinsame Banater Herkunft mit Kirchner verbunden ist.
Er ordnete das Werk kunsthistorisch ein, indem er Einflüsse des Expressionismus und Symbolismus ausmachte. Zugleich erläuterte er die Bedeutung der Banater Herkunft, die geprägt war vom Leben in der kommunistischen Diktatur. Die damit verbundenen Repressionen hatten 1981 schließlich zur Ausreise des Künstlers in die Bundesrepublik geführt. Hier folgte Kirchner nicht den auch für die moderne Kunst gültigen Gesetzen des Marktes, sondern blieb sich selbst und den existentiellen Themen, die ihn bewegten, treu. Die Farbexplosionen der Gemälde spiegeln die Gedankenwelt des Künstlers, fordern mit den sozialkritischen Nuancen zum Entschlüsseln heraus, die Skulpturen muten wie klassische Meisterwerke an. Hausenstein Burger vergleicht diese sogar mit denen des großen Meisters Bernini.
Hedi und Walter sind nicht nur seit vielen Jahren ein glückliches Paar, sondern auch ein eingespieltes Team. Hedi stand dem Künstler Walter Andreas Kirchner im Lauf ihres gemeinsamen Lebens unermüdlich zur Seite. Sie ist auch mit Leib und Seele bei der Organisation des Abends dabei.
Walther Konschitzky, auch aus dem Banat stammend und langjähriger Freund der Familie, lässt nicht unerwähnt, dass er Kirchners bekannt gemacht hat. Er hat das Werk des Künstlers nicht nur bei dieser Vernissage, sondern von den Anfängen in Temeswar, dokumentiert.
Zu dem Visuellen gibt es noch ein musikalisches Highlight. Die Aufmerksamkeit des Publikums wird nach den Ansprachen durch die Darbietung des Solisten Jay Alexander und der Pianistin Juna Tcherevatskaja gefesselt, die das Event auf stimmige Weise musikalisch durch folgende Stücke begleiteten: "Zueignung" von Richard Strauss, "Barcarole" von Jaques Offenbach, das Lied "Plaisir d'amour", sowie die bekannten Volkslieder "Santa Lucia" und Heinrich Heines "Loreley".
Anschließend wird die Ausstellung für eröffnet erklärt. Hier ein Überblick, der die wohldurchdachte Aufstellung der Gemälde, Skulpturen und Grafiken im Atrium des VolksbankHauses zeigt.
Am Rand der Veranstaltung war viel Raum für persönliche Begegnungen und Gespräche. Die Vernissage bot Gelegenheit zum Wiedersehen und Kennenlernen. Von links nach rechts: Hedi Kirchner, Brigitte Maxa, Eva Filip und Astrid Ziegler
Mit dem Kunstexperten Hans Hausenstein Burger hatte ich das Vergnügen, über das Gemälde "Abendmahl" zu diskutieren. Es gehört zu den subtil gesellschaftskritischen Werken von Walter Andreas Kirchner. Burger verfügt nicht nur über fundierte Kenntnisse, gepaart mit einer scharfen Beobachtungsgabe, sondern auch über eine gehörige Portion Humor.
So stellte er fest, dass es sich in der Darstellung keineswegs um ein gemeinsames Mahl der Abendgesellschaft handelt, sondern die Anwesenden, unfähig zur Kommunikation, sich lediglich durch Unterhaltung ablenken lassen.
Walter Andreas Kirchner bringt uns Betrachtern sein Werk sowohl mit Leidenschaft als auch mit großer Erzählkunst nahe. Für das Verständnis seiner Kunst gab er mir von Anfang an das Gedicht von Rainer Maria Rilke mit auf den Weg.
Kunstwerke sind von einer unendlichen Einsamkeit und mit nichts so wenig erreichbar als mit Kritik. Nur Liebe kann sie erfassen und halten und kann gerecht sein gegen sie.
Dies beherzigend möchte ich mich im Folgenden einigen Exponaten, die mich besonders in den Bann gezogen haben, beobachtend und entschlüsselnd nähern.
Chimäre | Marmor | 25x75x52 | 2015
Einer meiner Favoriten ist die Chimäre. Sie ist in der Mythologie eigentlich ein Mischwesen, entweder zwischen zwei oder mehreren Tieren oder zwischen Tier und Mensch. Man denke nur an die berühmte Sphinx, die einen Frauenkopf auf einem Löwenkörper hat.
Kirchners Chimäre vereint verschiedene Lebensalter des Menschen in einem Körper. Der Kopf ist der eines hübschen Jungen, der den Betrachter freundlich herausfordernd anblickt. Er kauert mit rundem Rücken in einer Art Hocke, die an den Leib eines Tieres erinnert. Beim Betrachten von der Seite fällt zudem ein buschiger Schweif auf, der im bärtigen Haupt eines alten Mannes endet. Die Skulptur deutet an, dass bei unserer Geburt schon die verschiedenen Entwicklungsstufen bis hin zum Lebensende angelegt sind.
Angst | 33x46x37
Für die Aufstellung der Plastiken musste ein kleiner Kran zu Hilfe geholt werden. Die Skulpturen sind wohldurchdacht in der Halle verteilt.
In einem Interview bei seinem Sommersitz Montignoso im Jahr 2007 äußerte sich Walter A. Kirchner zur Positionierung folgendermaßen:
Jede Plastik ist raumbezogen gedacht, doch kaum ein Künstler kann entscheiden oder auch nur Einfluss darauf nehmen, wo sie stehen wird. Und wie viele Skulpturen kommen schon in den öffentlichen Raum? Sicher kann eine Plastik die Atmosphäre eines Raums wesentlich mitbestimmen, und sie kann einen öffentlichen Raum geradezu prägen, ihn mit Sinn erfüllen.
Liebende | 36x36x16
Der Schriftsteller und Kirchner Biograf Franz Heinz formuliert den Schaffensprozess und die Bedeutung der Plastiken für Kirchners Werk:
Stein - der edelste von allen. In Tonnen, wenn er es wünscht, wird er in einer Waldlichtung in Montignoso abgestellt, nebenan aus dem Berg gehauen, maßgerecht geschnitten, ausgesucht nach Farbe, Körnung, Änderung und Transparenz. Jeder Block eine künstlerische Herausforderung. Vielleicht wird Kirchners Werk am ehesten an dieser Konfrontation mit dem Stein zu messen sein, an jener Bodenständigkeit, die das Bleibende, nicht aber das Ruhende meint. Die trägt aber nicht bindet. Denn alles ist in Bewegung und alles ist schon da gewesen.
Hey, du! | Öl auf Leinwand | 80x100cm | 2019
"Hey du" heißt das Gemälde im Hintergrund in der Mitte. Statt nur ein Foto zusammen aufzunehmen, überraschte mich Walter Andreas Kirchner mit der Idee: "Lass uns das Bild nachstellen!"
Eine lustige Herausforderung: Die Gesten bekamen wir annähernd hin, nicht jedoch den ernsten Gesichtsausdruck. Denn wir mussten dabei herzlich lachen.
Hans Rothgerber begleitete mit der Kamera durch die Ausstellung. Foto: Eva Filip
Dornröschen | Marmor | 15x27x56 | 2010
Als sich der Abend dem Ende geneigt und das Atrium der Volksbank geleert hatte, werfen wir einen letzten Blick auf diese wunderbare Retrospektive von Walter Andreas Kirchner, die man unbedingt erleben sollte.
Auf Youtube gibt es ein knappes Video in dem der Maler, Bildhauer und Grafiker Kirchner sehr präzise Auskunft über sein Kunstverständnis gibt. Seine Motivation folgt einer inneren Notwendigkeit. Er bekennt, dass er gerne um die Jahrhundertwende gelebt hätte, in einer Zeit des Umbruchs und der Professionalität. Vor einem modernen Akademismus und einem Abgleiten ins Dekorative grenzt er sich deutlich ab. In wenige Minuten ist das Wesentliche gesagt. Neben Ausstrahlung und Charisma hört man auch den vertrauten Banater Einschlag heraus.
Zahlreiche Werke des Künstlers befinden in Museen und im Öffentlichen Raum, darunter die Porträtbüste von Adam Müller Guttenbrunn im AMG-Haus Temeswar und die des Banater Malers Stefan Jäger in der Gedenk- und Begegnungsstätte Hatzfeld.
Seine Werke wurden in 7 Ländern ausgestellt, allein in Deutschland in rund 30 Städten
Kataloge
Walther Konschitzky, "Walter Andreas Kirchner, Maler, Grafiker, Bildhauer", Banat Verlag Erding 2008
Franz Heinz, "Walter Andreas Kirchner, Maler, Grafiker, Bildhauer", Eigenverlag Hedi Kirchner 2020
Kontakt
Hedi Kirchner, Friedenstraße 196, 75173 Pforzheim, Tel.: 07231 / 972725, Mobil: 0170 / 6959606 E-Mail: hedikirchner@gmx.de
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