Marienverehrung und Maiandacht im Banat
Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir, heilige Gottesmutter.
Verschmähe nicht unser Gebet in unseren Nöten,
sondern erlöse uns von allen Gefahren.
Mit diesem Flehen beginnt ein Gebet, das in der katholischen Kirche im Rahmen der Maiandachten an Maria, die Mutter von Jesus, gerichtet wurde. Es war in einer Zeit entstanden, in der die Marienverehrung nach der Mitte des 19. Jahrhunderts in voller Blüte stand und deshalb das "Marianische Zeitalter” genannt wurde. “De Maria numquam satis” - “Von Maria ist niemals genug” lautete eine Redewendung aus dieser Zeit, die man auch heute noch nachvollziehen kann, blickt man auf die vielen unterschiedlichen Formen der Marienverehrung im kirchlichen Jahreskreis. Im Mai versammeln sich die Gläubigen täglich zur Maiandacht, der Oktober ist durch das Rosenkranzgebet geprägt, dazu kommen die Marienfeste, wie zum Beispiel die Himmelfahrt Marias am 15. August, Maria Geburt am 8. September, die 7 Schmerzen Mariens am 15. September.
Die Verehrung Marias begann im Christentum sehr früh. Schon in den ersten Jahrhunderten nach Christus wurde Maria, der weibliche Attribute wie Fürsorglichkeit, Solidarität und Verständnis zugeschrieben wurden, im griechischen Kulturkreis verehrt. Seit dem Konzil von Ephesus im Jahr 431 n. Chr. bekam sie eine erhabene Stellung und galt als Mutter Gottes. Die Mutter von Jesus stieg so zur wichtigsten Frau in der Heilsgeschichte auf und durch ihre Nähe zu Gott begann ihre Verehrung und ihre Rolle als Fürsprecherin der Gläubigen.
Den Höhepunkt der Marienverehrung markierte die Frömmigkeit des Barock, in der Maria zur “Superheiligen” avancierte, von der Wundertätigkeit und jede erdenkliche Hilfe erwartet wurde. In allen Lebenslagen wandten sich Menschen seitdem an Maria, sei es bei Naturkatastrophen, Krankheiten oder in schwierigen Lebenslagen.
Im Zuge der verstärkt aufkommenden Marienverehrung im 17. Jahrhundert entstand auch am Rande des Banats in einem kleinen Ort nördlich der Marosch ein ganz besonderer Wallfahrtsort.
In Radna gab es schon während der Zeit der Türkenherrschaft ein Kloster von bosnischen Franziskanern, in deren Kapelle ein im Jahr 1668 aus Italien stammendes Bild aus Papier mit dem Antlitz der Gottesmutter gelandet war. Die Patres wurden immer wieder von Raubzügen der Türken heimgesucht, die im Jahr 1695 das Kirchlein der Franziskaner in Brand setzten. Während die Kirche lichterloh brannte, blieb das Bildnis der Gottesmutter unversehrt und die Patres retteten es aus den Ruinen der völlig zerstörten Kirche.
Seit dieser Geschichte wurden dem Marienbild spezielle Wunderkräfte zugeschrieben, die sich bald darauf in einem zweiten Vorfall bestätigten. Bei einem weiteren Angriff auf die Kapelle scheiterte ein türkischer Kämpfer, der die Anhöhe erklimmen wollte, wieder am sanften Widerstand Marias.
Der Huf seines Pferdes versank so spektakulär in einem weich gewordenen Stein, dass die Türken, von diesem unerklärlichen Phänomen verunsichert, die Attacke abbrachen. Dieses Stück Fels mit der Einkerbung durch den Pferdefuß, befindet sich heute wie das Gnadenbild in der der Gottesmutter geweihten prächtigen barocken Wallfahrtskirche, die 1757 bis 1767 an Stelle der alten Kapelle gebaut worden war.
Kloster und Basilika Minor in Radna, die aus der Ferne wirken, als würden sie sich an die dahinter beginnende Hügelkette der Westkarpaten schmiegen, liegen an einem außergewöhnlichen Ort. Steigt man die hohe Treppe zur Kirche hinauf, die von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1992 zur Basilika Minor erhoben wurde und blickt über die Marosch Richtung Lippa, bekommt man den Eindruck, dass der Wallfahrtsort Maria Radna an einem Platz entstanden ist, der über eine besondere Energie verfügt.
Das merkten im Laufe der Geschichte auch zahlreiche illustre Gäste: Kardinäle, Bischöfe, Grafen und Barone statteten Kirche und Kloster ihren Besuch ab. Der ranghöchste Gast war 1768 Kaiser Josef II höchstpersönlich, der vom wohl organisierten Betrieb im Kloster und dem Zauber des Ortes so angetan war, dass er den berühmten Satz ausgerufen haben soll: "Wäre ich nicht Kaiser in Wien, möchte ich Guardian in Radna sein".
In der riesigen Kirche hängt das Gnadenbild der Muttergottes mit dem Jesuskind an prominenter Stelle über dem Altar. Die Mariendarstellung selbst wirkt aus der Ferne klein und dunkel. Hätte es den prachtvollen silbernen Rahmen, der vom Wiener Goldschmied Maria Theresias hergestellt worden war und ein Geschenk der Kaiserin darstellt sowie die 1820 vom Erzbischof von Esztergom gestifteten goldenen Kronen nicht, würde man es von den Sitzbänken aus schwer erkennen können. Der barocke Pomp verfehlt seine Wirkung nicht, die große Macht und Wundertätigkeit der Himmelskönigin deutlich sichtbar zu zeigen. Diese wird auch im Altarraum der Basilika durch zwei große Tafeln mit Votivgaben
zur Schau gestellt. Seit 1750, als Radna als Marienwallfahrtsort anerkannt wurde, wurden solche Silbergegenstände gesammelt. Im Laufe der Jahre wurden silberne Nachbildungen von Herz, Niere, Füße, Augen von offensichtlich wohlhabenden Gläubigen als Dank der Mutter Gottes gespendet und erinnern an die Krankheiten, die durch die Hilfe der wundertätigen Himmelskönigin geheilt wurden.
Was aber bliebe, wenn die reich beschenkte Himmelskönigin sich dazu entscheiden würde, den schweren barocken Schmuck abzulegen? Da wäre nach außen hin sichtbar eine einfache Frau, eine Mutter, die lächelnd ein Kind im Arm hält, das sich glücklich an sie schmiegt. Diese im ursprünglichen Zustand des Druckes dargestellte Maria kam aus Italien ins Banat, von einem Ort, der hunderte Kilometer entfernt liegt. Das Werk stammt aus dem Atelier des Buchdruckers Remondini aus Bassano del Grapa in der norditalienischen Provinz Vicenza. Wie die Vorfahren der Banater Schwaben hat sie einen weiten Weg zurückgelegt, um an den Ort ihres Wirkens zu gelangen. Mit den Einwanderungszügen der deutschen Siedler kamen zahlreiche Mütter mit ihren Kindern oft mit nicht viel mehr als das, was sie auf dem Leib trugen, um die nach dem Abzug der Türken dünn besiedelte Region zu bevölkern. Man kann sich nur vorstellen, wie vielen Entbehrungen sie auf der beschwerlichen Reise ausgesetzt waren, wie viel Mühe sie hatten, ihren Nachwuchs zu versorgen. Generationen von Banater Schwaben fanden in Radna das Gnadenbild der wahrscheinlich wundertätigsten Mutter der Weltgeschichte vor und konnten um Linderung von Leid und Not und Heilung von Krankheit beten.
Die schweigende Madonna blickt auf alle herab. In der Bibel sind nicht viele wörtliche Zitate von der Mutter von Jesus überliefert. Während Evangelisten und Jünger viele Worte machen, schweigt Maria. Man erahnt aber, dass die historische Maria eine Frau war, der kaum eine menschliche Erfahrung fremd geblieben war, die im Lauf ihres Lebens Freude und Leid erlebte. Freude über die Geburt ihres Sohnes, das Glück ihn aufwachsen und wirken zu sehen. Schließlich Angst und Leid angesichts seines Martyriums, der für jede Mutter allergrößte Schmerz bei der Folter und dem qualvollen Tod ihres Kindes ohnmächtig zusehen zu müssen.
Zahlreiche im Klostermuseum ausgestellte Marienbilder, die in ähnlichen Darstellungen auch in zahlreichen Kirchen und Häusern im Banat vorhanden waren, zeigen eine Art der Darstellung der Gottesmutter, die auf ihr Leid anspielt. Diese Marienbilder waren im Leben der Menschen im Banat sehr präsent. Auch ich lernte sie in den letzten Ferien vor unserer Ausreise kennen. In der Ortschaft Paulisch, dem Geburtsort meiner Großmutter, unweit von Radna gelegen, verbrachte ich, wie schon in den Jahren davor, meine Sommerferien. Zufällig wurde damals die Neupaulischer Kirche renoviert. Da das Haus gegenüber der “Kirich” lag und geräumig war, brachte man alle beweglichen Gegenstände aus dem Gotteshaus in unseren Hof. Im Schuppen, vor Regen geschützt, standen Weihwasserbecken, Kerzen und allerhand liturgisches Gerät herum. So konnte ich die sonst ehrfürchtig aus der Ferne bestaunten Statuen aus der Nähe betrachten, berührte sogar verstohlen die Heiligen, die sonst Tabu waren, um zu fühlen, woraus sie gemacht waren.
Eine überraschende Entdeckung machte ich nach der Inspektion im Hof auch im Haus, in einem damals unbenutzten Zimmer. Dort stand ein Madonnenbild am Boden, in dem ich auf Augenhöhe in ein Gesicht blickte.
Ich blieb wie gebannt stehen, setzte mich vor das ziemlich große Gemälde und betrachtete es. Es stellte eine sitzende junge Frau dar, die mit Tränen in den Augen leidend zum Himmel schaute. An dem blauen Schleier und der Art der Darstellung erkannte ich Maria. Sie hatte nicht Machtvolles oder Königliches an sich, sondern war ihrem Schmerz ausgeliefert dargestellt. In ihrer Brust an der Stelle des Herzens steckte ein Dolch. Die Mariendarstellung drückte bildlich aus, was die Seherworte Simeons, in der Kirche verlesen zu Mariä Lichtmess bedeuten: "Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen". Ich sah das Schwert, die Tränen, das leidende Gesicht und meine Kinderseele fühlte mit dieser verzweifelten Mutter. Die Gottesmutter, die so viele Menschen gerettet hatte, stand ihrem eigenen durch den Kreuzestod ihres Sohnes verursachten Leid machtlos gegenüber.
Machtvolle Himmelskönigin, zu der wir flehen und die wir als Fürsprecherin verehren, und gleichzeitig leidende Mutter, mit der sich alle Mütter und mütterlich Fühlenden identifizieren können - in diesem Spannungsfeld spielt sich die Faszination für Maria ab.
Die Generation meiner Großeltern, die unter Krieg, Deportation, Enteignung gelitten hat oder sogar geliebte Angehörige verloren hat, fühlte sich der Gottesmutter im Gebet nahe und fand Trost bei der Frau, die ihren Sohn auf grausamste Weise verloren hat. Die meisten von uns, die wir noch im Banat aufgewachsen sind, wurden trotz Repressionen der kommunistischen Diktatur an die Marienverehrung herangeführt, pilgerten nach Radna und gingen in die Maiandacht in den Banater Dörfern oder den Kirchen Temeswars.
In einer Zeit, in der sich in Deutschland immer mehr Menschen vom Glauben und der Kirche abwenden, ist die Faszination für die Gottesmutter Maria in Radna ungebrochen. Die Basilika Minor ist neben Altötting in Bayern und Tschenstochau in Polen einer der bedeutendsten römisch-katholischen Marien-Wallfahrtsorte Europas und wird jährlich von fast 200.000 Menschen verschiedener Ethnien und Konfessionen besucht.
Menschen, die sich um die Gesundheit sorgen, um Angehörige oder inzwischen angesichts der weltpolitischen Situation um den Frieden, wenden sich auch heute noch an die Gottesmutter und beten “Heilige Maria hilf…”
Domherr Andreas Reinholz, der Priester in Maria Radna, erfährt wöchentlich von vielen Menschen, deren Gebete erhört wurden.
“Es passieren viel mehr Wunder, als wir annehmen würden”, sagte der Priester in einem Interview in der Banater Zeitung und fügte über die Stellung der Wallfahrtskirche hinzu: “Das ist kein Museum, sondern eine lebendige Kirche.”
Doch wie steht es um die im Banat so beliebte Maiandacht, in der die Volksfrömmigkeit einen wunderbaren regionaltypischen Ausdruck findet?
Bei der Maiandacht handelt es sich um einen Wortgottesdienst zu Ehren Marias, der sich durch bestimmte Abläufe und Gestaltungsmöglichkeiten abzeichnet. So werden in der mit frischen Frühlingsblumen und Kerzen geschmückten Kirche bestimmte Gebete zur Gottesmutter gesprochen und gemeinsam Marienlieder gesungen. Wie es früher war, erfährt man zum Beispiel auf der Homepage von Jahrmarkt in einem nostalgischen Rückblick auf die Maiandachten von früher geschrieben von Frau Katharina Scheuer:
“Die Maiandacht war vorwiegend von Frauen und Kindern regelmäßig besucht, aber es gab auch Männer, die gerne in diese Andachten kamen. Hier wurden viele Gebete zusammen gebetet, beliebte, altbekannte Marienlieder zusammen gesungen.
Zu Beginn der Andacht betete der Priester die Lauretanische Litanei, danach das „Gedenke“ des Heiligen Bernhard: „Gedenke o gütigste Jungfrau Maria, es sei noch nie gehört worden, dass du jemanden verlassen hättest, der zu dir seine Zuflucht genommen, deine Hilfe angerufen und um deine Fürbitte gefleht hat. Von solchem Vertrauen aufgemuntert, eile ich zu dir, o Jungfrau der Jungfrauen. Zu dir komme ich, vor dir stehe ich, seufzend als Sünder da. O Mutter des Ewigen Wortes, verschmähe nicht unsere Worte, sondern höre sie gnädig an und erhöre sie.“
Alle zusammen beteten dann das: „Jungfrau, Mutter Gottes mein…“
In der Maiandacht wurden die auch uns heute so gut bekannten und vertrauten Marienlieder gesungen. Alt und Jung, Groß und Klein stimmten gerne ein in diese schönen Lieder…Wer erinnert sich nicht an den Klang dieser schönen Marienlieder:
„Maria Maienkönigin“, „In dem Monat Mariens, in dem lieblichen Mai“,
„Meerstern ich dich grüße“, „Kennt ihr das Bild, dort am Altar“, „Maria zu
lieben“, „Alle Tage, sing und sage“, „Wunderschön Prächtige“, „Es blüht der
Blumen eine“, „Glorwürdige Königin“, „Ich möcht' ein Blümlein werden“, „Segne
du Maria“, „Über die Berge schallt“, „Noch glüht deine Liebe“, „Ein Bild ist mir
in's Herz gegraben“, „Mutter, dich rufe ich“, „O Maria hilf doch mir“, „O Mutter
mit dem Himmelskinde“, „Mit frohem Herzen will ich singen“, „Es glänzt ein
Licht im Sternensaal“, „Ein Kind Mariens sein und werden“, „Maria dein
gedenk' ich jeden Morgen“, „Wenn ich ein Glöcklein wär“, „Maria breit den
Mantel aus“, „Schön bist du Maria“, „Ein Mutterherz hab ich gefunden“,
„Rosenkranzkönigin“, „Ich kniee vor deinem Altare“, „Maria, sieh wir weihen“,
„Maria wir rufen zu dir“, u. a.
Von diesen Liedern wurden abwechselnd jeden Abend 3-4 gesungen. Eines aber
wurde jeden Abend in der Maiandacht gesungen: „Freu' dich du Himmelskönigin, freu'
dich Maria“. Wenn die Kirchturmglocken das Gebetläuten anfingen, begann der
Priester den „Engel des Herrn“ zu beten. Abschließend wurde das Abendgebet
gesungen, abwechselnd das „Bevor ich mich zur Ruh begeb'“ und das „Den letzten
Gruß der Abendstunde“. Am 31. Mai fand die letzte Maiandacht statt. Die Kinder
versammelten sich am Marienaltar um den Priester herum. Dieser verteilte den
Kindern Heiligenbildchen.”
Die Maiandachten sind auch heute noch im Banat in der Volksfrömmigkeit fest verankert. Laut Auskunft von Pfarrer Reinholz finden in den katholischen Gemeinden im Banat, die noch einen Priester haben, immer noch regelmäßig Maiandachten statt. In einigen Gemeinden versammeln sich die Gläubigen auch ohne Pfarrer zur Andacht, beten und singen die bekannten Marienlieder.
In Maria Radna gibt es täglich nach der Messe eine Marienandacht. Meist sind es ältere Menschen, die die große Mehrheit der Andachtsbesucher stellen. Doch am heutigen Samstag werden sich in der Basilika Minor in Radna 450 angehende Firmlinge und ihre Familien zu einem Gottesdienst, den der Bischof der Diözese Temeswar József Csaba Pál abhalten wird, versammeln. Junge Leute, die diese christliche Tradition prägt und die sie hoffentlich weiter tragen werden.
Das marianische Zeitalter mit seinem barocken Pomp und der romantischen Verklärung Marias gehört der Geschichte an. Doch es scheint so zu sein, dass Maria als Himmelskönigin von ihrem Sockel herabgestiegen ist, um ihre menschliche Seite zu zeigen. Sie ist keine, die romantisch verklärt werden muss, sondern sie kann auch mitten unter den Menschen, die ihr immer noch ihre Empfindungen, Ängste und Nöte mitteilen, wirken. Dann wäre diese Maria, der keine menschliche Erfahrung fremd ist, ein Beispiel dafür, wie das Leben im Vertrauen auf Gott gelingen kann. Dann kann sie Gefährtin sein auf dem Lebensweg der Menschen, die glauben.
Video mit der Fotomontage einer Marienstatue aus der Billeder Heimatstube und dem Billeder Kalvarienberg. Es singt der Freiburger Singkreis der Sanktandreser
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